Wenn Worte schmerzen

Neu in der “Schreibstube”: Dreyers Nachlese

Karlheinz Dreyer verantwortete 12 Jahre lang die tägliche Presseschau beim Südwestfunk Baden-Baden und nimmt seit zehn Jahren Medientexte unter die Lupe . Foto: Cornelia Conrad

„Für mich ist das eine Schmerztherapie. Ich muss das machen. Ich kann nicht anders.“ Was Karlheinz Dreyer* „machen muss“. das finden Sie ab sofort in der „Schreibstube in diesem Medienhaus: “Dreyers Nachlese – Wenn Texte schmerzen“. Seit rund zehn Jahren beugt sich Dreyer über Zeitungstexte und Berichte aus Funk und Fernsehen, und jedes Mal, wenn er Wörter und Sätze leiden sieht, leidet er mit ihnen.

Dreyer: „Dabei ist es nicht so, dass ich Artikel besonders kritisch lese oder gar gezielt nach Fehlern suche, nein, die Fehler springen mir förmlich in die Augen. Das ist eine Berufskrankheit. Ich habe ein Leben lang Texte anderer Menschen redigiert – das wird zu einer zweiten Natur. Und – je länger man das macht, desto empfindlicher wird man bei Schludrigkeiten und Gedankenlosigkeiten. Ich muss das dann irgendwie verarbeiten. Es geht nicht anders.“

Frage: Welche Fehler treten immer wieder auf?

Dreyer: was mir gerade besonders auffällt, ist die Verwendung des Wortes „Dementi“ Russlan d dementiert, das Atomkraftwerk angegriffen zu haben. In Wahrheit dementiert Russland aber nicht den Angriff, sondern die Meldungen über einen solchen Angriff.

Auch so ein Dauerbrenner ist das Wort „vermeintlich“, das gern als Synonym für „mutmaßlich“ benutzt wird. Es bedeutet aber „irrtümlich, fälschlicherweise. scheinbar“. Ein vermeintlich guter Nachbar z.B. entpuppt sich oft als wahre Nervensäge. Aber bekanntlich lebt ja die Sprache und manchmal sind die Fehler von heute die Regeln von morgen…

Frage: Möchtest du jetzt über das Gendern reden?

Dreyer: Nein, Bitte nicht. Gendern – das ist für mich eine Behinderung der Sprache, eine Verunstaltung, es behindert die Kommunikation…

Farge. O.K. lassen wir das für heute. Hat das Internet dafür gesorgt, dass sich stilistische Merkwürdigkeiten schneller als früher durchsetzen?

Dreyer: Durch das Internet multiplizieren sich Fehler viel schneller als früher. Irgendjemand schreibt etwas verkehrt, andere, die es auch nicht besser wissen, übernehmen das, und dann eiert es 14 Tage durch die Medien und verschwindet wieder oder – wird irgendwann zur neuen Regel.

Frage: Hat sich nach deiner Beobachtung die Mediensprache insgesamt verbessert oder eher verschlechtert?

Dreyer: Meine Kollegen aus der Nachrichtenredaktion und ich haben früher Meldungen der Nachrichtenagenturen gezielt für den Hörfunk aufbereitet. Die Meldungen waren für Zeitungen geschrieben (aber oft auch für die zu schlecht) und nicht für das Radio, das ganz andere Anforderungen stellt. Heute habe ich oft den Eindruck, dass die Agenturtexte einfach übernommen werden. Warum auch immer. Vermutlich, weil die Redaktionen so ausgedünnt wurden, dass für sorgfältige Arbeit keine Zeit mehr bleibt. Aber auch hier spielt das Internet eine Rolle, weil sich Oberflächlichkeiten sehr schnell verbreiten und ungeprüft übernommen werden.

Frage: Welche Rolle spielen die sogenannten sozialen Medien für dich?

Dreyer: Überhaupt keine. Ich finde nicht nur den Begriff „sozial“ falsch, ich betrachte „social media“ auch nicht als Quelle für Nahrichten. Das ist ein Spielplatz, auf dem man Belanglosigkeiten, Stimmungsbilder oder Promi-Klatsch und Kriminal-Storys austauschen kann, der aber für seriöse, qualitative Informationen nicht taugt.

Frage: Nach so viel Kritik an der Mediensprache, muss ich- in Erinnerung an Erich Kästner –fragen: Und wo bleibt das Positive, Herr Dreyer? Wäre es nicht spannend und hilfreich, einmal die positiven Beispiele aufzuzeigen, quasi als Perlenfischer in der Medienwelt?

Dreyer: Das würde den Rahmen sprengen, aber natürlich freue ich mich über hübsche Formulierungen. Leider sind die eher selten zu finden. Selbstverständlich gibt es solche Fundstücke in den Feuilletons. Auf den Nachrichtenseiten erwarte ich das auch gar nicht. Erwarten kann man aber wohl etwas mehr Sorgfalt.

Frage: Was empfiehlst du jungen Kollegen, die nicht damit zufrieden sind, irgendwelche  Agenturmeldungen oder PR-Texte abzudrucken und sogar noch ein Gefü hl für die Sprache haben?

Dreyer: Dreierlei: Schneider lesen, Schneider lesen, Schneider lesen.

Anmerkung: Der kürzlich im Alter von 97 Jahren gestorbene Journalist, Sprachkritiker, Hochschuldozent und Autor zahlreicher Standardwerke zum Journalismus galt als der „Sprachpapst“ in Deutschland. Schneider setzte sich sein Leben lang für eine verständliche, klare Sprache ein und kritisierte unermüdlich sprachliche Schlampereien, Floskeln, ungenaue Bilder und Anglizismen. Viele seiner Werke wurden auch einem breiteren Publikum bekannt. Etwa: „Deutsch für Profis – Handbuch der journalistischen Sprache“ oder „Deutsch fürs Leben – Was die schule zu lehren vergaß“.

Frage: Du hast deine Kritik bisher mit einem kleinen Kreis von 20 bis 30 Freunden und ehemaligen Kollegen geteilt, welches Feedback gab es dabei?

Dreyer: Mir wurde oft gesagt, das oder das hätten wir glatt überlesen oder das hätten wir nicht als Fehler erkannt. Also, ich glaube schon, dass ich meine Freunde ein wenig mehr für die Feinheiten der deutschen Sprache sensibilisieren kann. Aber das ist keine Absicht, sondern eher eine Nebenwirkung. Ich bin halt ein übersensibler Leser und teile das mitmeinen Freunden.

Frage: Außer den Zeitungen, die du abonniert hast, und den großen Online-Diensten von der Süddeutschen, der Zeit oder von Spiegel online stützt du dich bei deiner Arbeit vor allem auf die Website Nachrichtentisch.die Meldungen aus den unterschiedlichsten Quellen anbietet. Diese Arbeit frisst jeden Tag Zeit. Was sagt deine Frau Cornelia zu diesem „Hobby“?

Dreyer: Sie hat inzwischen resigniert. Nein, das wäre ungerecht. Sie liest mittlerweile sogar Korrektur und sagt klar und deutlich, was sie nicht verstanden hat und was ich bitte ändern sollte.

*Karlheinz Dreyer gehört zu den Kollegen, die ich am längsten kenne und schätze. Er war Anfang der 70er Jahre in Mannheim Mittglied meiner ersten Redaktion. Danach arbeitete er u.a. für den „Zeitfunk“ des Süddeutschen Rundfunks in Karlsruhe und drei Jahrzehnte lang für den Südwestfunk (heute Südwestrundfunk) in Baden-Baden. Allein zwölf Jahre davon war er für die tägliche Presseschau des Senders verantwortlich.

Er lebt heute mit Frau Cornelia und Kater Tarzan im Elsass.