Schreibstunden – 12 Lektionen für Text-Arbeiter

Lektion 6: Erzählstrukturen: Von Pyramiden und Heldenreisen

Ziel: Eine Geschichte strukturieren

Strukturformate definieren, z.B. lineare, nicht-lineare, Parallelhandlungen oder andere Formen. Wie soll die Erzählung aufgebaut werden? Klassisch, frei nach Aristoteles und Freytag oder eher in Stationen wie bei Campbells Heldenreise? Wie gestaltet man Plot-Points und was muss ein Held leisten, damit der Plot spannend bleibt?

Einleitung

Das Fräulein Gretchen[1] hatte nur eine Frage an den Herrn Dr. Faust: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Autoren aber müssen sich eine Menge Fragen stellen, bevor Sie ihren Laptop aufklappen und losschreiben: Was will ich wem und warum erzählen? Wie erzähle ich es am informativsten, spannendsten und unterhaltsamsten? Welche äußere Form nutze ich für meine Geschichte? Und – wie baue ich sie auf?

Von den zahlreichen Möglichkeiten eine Story zu erzählen, stellen wir Ihnen in dieser „Schreibstunde“ die wichtigsten vor, damit Sie die passende Struktur auswählen können. Ein Krimi verlangt eben eine andere Struktur als ein Märchen oder eine Fabel. Ich nenne das die äußere Struktur, das Gebäude oder den Rahmen der Geschichte. Die Handlung ist demnach die innere Struktur der Erzählung.

Zumindest eine Struktur kennen wir noch aus der Schulzeit: EHS. Jeder Schulaufsatz hatte gefälligst diese Gliederung aufzuweisen: Einführung ins Thema, Hauptteil mit ausführlicher Darstellung des Problems und Schluss, also die Zusammenfassung.

Eine Erzählung ist gar nicht so viel anders strukturiert. Nur geht es hier nach der Einleitung um den Show-down und die Lösung eines Konflikts, die meist noch einmal hinausgezögert wird.  Rahmen und Aufbau der meisten Narrative sind bekannt und vertraut. Sie folgen immer wieder demselben Muster. Und trotzdem verlangt das „Geschichtentier Mensch“ ungesättigt nach stets neuem Lesefutter; dargeboten im vertrauten Gefäß.  Tun wir ihm den Gefallen. Erzählen wir ihm eine Geschichte.

I. Bausteine der Erzählung

1. Plot

Der Plot (engl. für Handlung) umfasst die einzelnen Szenen der Geschichte. Der Plot setzt sich meist aus Strängen (engl. Storylines, Handlungsfäden) zusammen., Die Stränge haben ihre eigene Anfang-Mitte-Ende-Struktur und werden irgendwann wie bei einem Zopf zusammengeführt.

Um den Plot zu erzählen, können wir auf drei Komponenten zurückgreifen. Die einzelnen Sätze der Erzählerrede sind entweder

1. Handlung/Szenische Darstellung
2. Beschreibung/Kommentar oder
3. Narrative Zusammenfassung.

1.  Handlung/Szenische Darstellung heißt, das Geschehen wird szenisch und „zeitgleich“/zeitdeckend wiedergegeben. Wir lesen quasi, was wir bei einem Theaterstück sehen oder hören könnten. Das griechische Wort „Drama“ bedeutet einfach – Handlung. Und weil die Träger dieser Handlung auch reden, gilt auch die „Rede“/Dialog als Handlung. 

2.  Beschreibung heißt, sinnliche Eindrücke wiedergeben – visuelle, auditive, olfaktorische, haptische und gustatorische. Wenn Sie sinnlich, präzise und konkret beschreiben, ruft das Vorstellungen, Gefühle oder Einstellungen hervor. Der Leser hat das Gefühl, etwas „sehen zu können“, Kino im Kopf zu erleben.
Vitalität und Dynamik erzeugen Sie durch Bilder, die Aktivität und Bewegung transportieren.

Allerdings: Beschreibungen in Erzählungen unterbrechen den Fluss der Geschichte. Solange Sie beschreiben, steht die Zeit still. Deshalb sollte die Handlung möglichst mit der Beschreibung verbunden werden, um zu vermeiden, dass starre Momentaufnahmen in einer Situation entstehen, bei der man eigentlich nur wissen will, wie die Geschichte weiter geht. 

Also nicht: Das Mädchen hatte schwarze Haare. Sondern handlungsaktiv: Das Mädchen genießt das Kompliment und wehrt es gleichzeitig ab, indem es den Kopf mit den langen, schwarzen Haaren schüttelt.

Ein anderes Beispiel: Wir beschreiben zunächst nur den Schauplatz und lassen dann den Protagonisten darin auftreten. Ein schmaler Gang führt durch die Menschenmassen links und rechts zum Ring. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Alle Scheinwerfer sind auf die erhöhte quadratische Arena gerichtet. Johny schwingt sich hinauf, grüßt und wartet.
             
Im zweiten Ansatz versuchen wir die Beschreibung des Schauplatzes gleich mit dem Protagonisten zu verbinden. Wir schildern Schauplatz und Ereignis aus Rockys Perspektive:

Rocky läuft wie durch einen Tunnel auf den Ring zu. Links und rechts grölen die Menschen. Aus dem Lärm, der über ihn schwappt, dringen immer wieder Wortfetzen – es hört sich an wie „Rocky, Rocky“. Da ist der Ring.

 Die Scheinwerfer brennen Rocky in den Augen. Noch könnte er zurück. Sein Stolz sagt nein, ich werde mich so teuer wie möglich verkaufen. Und wenn es as Letzte ist, was ich tue.   Rocky fasst  an das mittlere Seil und schwingt sich hinauf. Arme hoch, Zähne zeigen, Warten.

Mit der zweiten Version bleiben wir in der Handlung und stoppen den Fluss der Geschichte nicht für eine Beschreibung der Situation. The Show must go on. Und das tut sie bei dieser Variante. Schauplatz und Protagonist werden zur Einheit.

Auch ein Kommentar, unterbricht die Handlung, aber manchmal brauchen wir die Pause, um Stellung zu beziehen, einzuordnen, z.B. Johny ist faul, antriebslos und liegt am liebsten mit der Bierflasche in der Hand vor dem Fernseher auf der Couch

3.  Narrative Zusammenfassung/raffender Bericht: Das sind Erklärungen zum Geschehen und Geschichten aus der Vergangenheit. Vorab-Informationen werden gerne als Einstieg genutzt, um den Hintergrund, die Entstehung der Erzählung darzulegen oder um dem Leser zu sagen, ich bin jetzt hier, aber vorher war noch etwas geschehen, was du wissen solltest.

Beispiel: „Ich suchte mir einen leeren Platz in einem Abteil und begann Zeitung zu lesen.“[2] Danach kann die Geschichte hoffentlich losgehen, weil in der Zeitung ein Artikel steht, der das Leben des Protagonisten durcheinanderwirbelt und die Platzsuche nicht schon das ganze Abenteuer ist.

 Der Satz oben hat eine ganze Kette von Handlungen zusammengefasst. Ausgeblendet wurde dabei z.B. um was für einen Zug und um welches Abteil es sich handelt, ob es stickig ist und kalter Rauch in der Luft hängt Welche Farbe die Sitzbezüge haben und, ob sie verschlissen oder gepflegt sind. Es bleibt offen, was der Schaffner getan hat, welches Geräusch die Tür macht und, ob der Zug insgesamt überfüllt ist. Vielleicht will der Leser ja auch wissen, wohin der Zug fährt und, welche Zeitung der Protagonist liest.

Natürlich können Sie auch sagen, dass seien alles nebensächliche Details, die keinen Menschen interessierten. Gut, aber dann frage ich, warum brauchen wir dann eine narrative Zusammenfassung und fangen nicht gleich mit dem alles verändernden Zeitungs-Artikel an?

Plot Geres (Beispiele)

Romanze: Bei romantischen Geschichten fühlen sich meist zwei Menschen magisch voneinander angezogen. Aber damit es eine „Geschichte“ wird, muss die Anziehungskraft zwischen den beiden immer wieder und immer stärker abgelenkt, gestört werden.
Vor das Happy End hat die Dramaturgie nahezu unüberwindliche Hürden aufgestellt: gesellschaftliche Schranken, moralische Bedenken, Abhängigkeiten von Dritten, Bindungsängste, Ereignisse aus der Vergangenheit etc. etc.

Abenteuer: Gegen alle Widerstände und Vernunftgründe, versucht der Held sein Ziel zu erreichen. Er besteht Kämpfe gegen schier übermächtige Gegner, besiegt sich selbst durch Verzicht und Selbstdisziplin, strotzt den Naturgewalten oder befreit mit List und Tücke seinen besten Freund oder seine Geliebte.

Ermittlung: Der klassische Kriminalfall, den der Held durch Kombinationsfähigkeit und Kreativität, oder/und durch Hartnäckigkeit und Glück lösen kann.

Jagd: Der Held wird gnadenlos verfolgt, weil er etwas wahrhaft Böses getan haben soll. Meist ist er allerdings völlig unschuldig. Wie auch immer – er muss sein gesamtes Geschick einsetzen, um den Jägern zu entkommen.

Horror: Die Handlung soll Schauer erzeugen. Die Ereignisse und Personen sind unheimlich, grauenerregend, abscheulich. Im Handlungsverlauf wird versucht durch starke Effekte, solche Grusel- und Ekel-Gefühle zu erzeugen.

Suche:  Ein Mensch sucht den Sinn seines Lebens und/oder versucht, gegen alle Widerstände Spuren einer fremden, höheren Intelligenz zu finden.

2 Einstieg/Einleitung/Exposition

Die Funktion der ersten Sätze ist ganz einfach: Der Einstieg soll den Leser an den Haken nehmen, ihn festhalten, neugierig, begierig machen weiterzulesen.  Wenn Ihnen das nicht gelingt, müssen Sie sich vermutlich einen neuen Leser suchen.

Die Einleitung ist eine gewaltige Hürde. Das Sie schon beim Einstieg am liebsten aussteigen möchten – völlig normal. Also ignorieren Sie das Gefühl und schreiben Sie einfach drauf los. Vielleicht beginnen Sie mit dem Ende der Geschichte und überlegen sich erst zum Schluss, welcher Anfang am besten geeignet ist, um auf das Ende neugierig zu machen-

Wenn Sie das fertige Werk quasi schon vor sich haben, können Sie viel entspannter über den Einstieg nachdenken. Vielleicht fallen Ihnen dann Einleitungssätze wie diese ein, die ich nach dem Zufallsprinzip ausgesucht habe:

„Natürlich spürte Gabrielle (die Friseuse), dass ihr Armand mit seiner dicken Schulter ein wenig entgegenkam, wenn sie sich über ihn beugte, um das struppige Haar über der Stirn einen halben Zentimeter zu kürzen.“ („Die Leute von Port Madeleine“)[3]

„Das ist die Geschichte des Musikers Johannes Elias Adler, der 22jährigig sein Leben zu Tode brachte, nachdem er beschlossen hatte, nicht mehr zu schlafen.“  („Schlafes Bruder“)[4]

„Ich verstehe die Nachbarin nicht mehr. Ich verstehe nicht mehr, weshalb sie jeden Morgen die Wohnung verlässt, ich verstehe nicht mehr, weshalb sie eine Katze hat, dass sie grüßt, wenn man ihr im Treppenhaus begegnet.“ („Zielinski“)[5]

Drei Beispiele, die neugierig machen. Was ist da zwischen Gabrielle und dem dicken Armand?  Was bringt einen jungen Mann dazu, sich durch Schlafentzug umzubringen? Was findet Zielinski so ungewöhnlich daran, dass sich seine Nachbarin so völlig normal verhält?

Ein paar Sätze, die Fragen provozieren und in eine Geschichte locken, weil man mehr wissen möchte. Und schon hängt man am Haken und liest weiter. Die Einleitung zündet den Motor der Neugier, sie ist die treibende Kraft, die den Leser über die ersten paar Sätze hinausträgt. Oder, wie man im Journalismus sagt: Fangen Sie mit dem Weltuntergang an und steigern Sie sich dann langsam.

Merke: Der Anfang muss packend sein, ungewöhnlich, rätselhaft.
Erklärungen können Sie später liefern.

3.Plot-Point

Mit dem Plot-Point (auch Turning-Point) ändert die Erzählung ihren Lauf. Ist die Story „action-driven“, dann sorgen äußere Einflüsse (Katastrophen, Unfälle, „Jagd“-Szenen) für den Umschwung. Ist die Geschichte „charakter-driven“ dann sind Erkenntnisse/Einsichten des Protagonisten entscheidend für die neue Richtung der Geschichte.

Eine Story braucht mindestens zwei Plot-Points. Der erste führt von der Exposition zum Höhepunkt, der zweite führt zur Lösung. Häufig tritt an diesem Punkt ein Ereignis ein, dass den Helden zur „ultimativen Einsicht“ bringt.

Im Wendepunkt (Plot-Point) steckt der Keim für die weitere Handlung. Bei Romeo und Julia beispielsweise löst die „Liebe auf den ersten Blick“ die dramatische Entwicklung aus. Sie ist Ursache für sich steigernde Krisen, Kämpfe und Konflikte.

Die Plot-Points bei Romeo und Julia

 „Romeo und Julia“[6] ist Weltliteratur. William Shakespeares Tragödie zeigt lehrbuchartig, wie das Erzählschema funktioniert:

Alltag in Verona, der Keim des Konflikts liegt in der Feindschaft der beiden Familien von Romeo und Julia, die sich in Verona auf offener Straße beleidigen und blutige Degenduelle liefern. Doch dann lernen sich die beiden auf einem Maskenball kenn. …

Plot-Point 1:  …und verlieben sich sofort unsterblich ineinander. Als die Masken fallen und  Julia erkennt um wen es sich bei Romeo handelt, ist es zu spät. Die Liebe ist stärker als der Familienkrieg: „O Wunderwerk: ich fühle mich getrieben, /Den ärgsten Feind aufs zärtlichste zu lieben.“[7] Das führt logischerweise zu einer ganzen Reihe von Komplikationen und Kämpfen.

Plot-Point 2: Und dann hört Romeo plötzlich, dass Julia gestorben sei. Allein will er nicht weiterleben, er besorgt sich Gift, um wenigstens im Tod mit ihr vereint zu sein. Er schluckt das Gift in einer Gruft neben ihrem leblosen Körper und – stirbt.

Doch Julia ist nicht tot. Sie erwacht und sieht Romeos Leiche. Verzweifelt küsst sie seine Lippen. Auch sie will nicht mehr weiterleben. Julia ersticht sich mit seinem Dolch.

Wende und Schluss: Als die verfeindeten Familien von der Tragödie erfahren, versöhnen sie sich und beschließen ein Denkmal für die Liebenden zu errichten.

II. Die äußere Form

Linear oder nicht-linear?

Die wichtigste Unterscheidung zuerst: Linear oder nicht-linear, das ist die Frage. Lineare Erzählstrukturen folgen der chronologischen Reihenfolge. Die orientiert sich am realen Ablauf der Ereignisse. Beim nicht-linearen Aufbau springt die Erzählung in der Zeit vor und zurück. Es gibt Rückblenden und vorausschauende Teile.

Chronologische Erzählform

Es war einmal – und dann nimmt die Geschichte ihren Lauf. Die lineare oder chronologische Erzählung ist vermutlich die vertrauteste Form der Story-Struktur. Die Geschichte strömt wie ein Fluss dahin, wird nirgendwo unterbrochen, fließt mal langsamer, mal schneller, wird dramatischer an einem Wasserfall – aber der Lauf ist eindeutig – er führt ins Meer.

Oder anders ausgedrückt: Die chronologisch erzählte Story endet irgendwann im „und wenn sie nicht gestorben sind“…Das Problem bei dieser Form ist der Beginn. Wo anfangen, ohne langweilig zu werden. Wir brauchen einen Einstieg, in dem der Keim des Konflikts bereits gelegt ist. So wie bei „Hänsel und Gretel:

„Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern; das Bübchen hieß Hänsel und das Mädchen Gretel. Er hatte wenig zu beißen und zu brechen, und einmal, als große Teuerung ins Land kam, konnte er das tägliche Brot nicht mehr schaffen.“[8].

So nimmt das Schicksal seinen Lauf. Der Holzhacker muss eine Lösung finden. Schweren Herzens entscheidet er sich und schickt die Kinder in den Wald, in ihr mögliches Verderben. Doch die beiden finden ein Hexenhaus, überlisten die bösartige Alte und kehren mit einem Schatz zurück. Und wenn sie nicht gestorben sind….

Umgekehrte Chronologie

Bei der umgekehrten Chronologie fließt der Fluss quasi rückwärts – von der Mündung zur Quelle. Oder: Am Anfang ist das Ende. Die Kinder kommen mit dem Schatz nach Hause und erzählen von der Hexe und dem Knusperhäuschen.

Beliebt ist diese Form beim Krimi. Die Leiche liegt in einer Blutlache. Erstochen, aber – wer war es? Das ist buchstäblich das Ende der Geschichte, die jetzt rückwärts aufgerollt werden muss.   Mühsam wird Indiz um Indiz, Aussage um Aussage zusammengetragen, Lügen sind zu entlarven, Widersprüche aufzuklären. Und dann – dann verkündet der Kommissar: Der Gärtner ist der Mörder. Oder der Chauffeur oder der, der am unverdächtigsten erschien.

Chronologie des Erkenntnis-Fortschritt

Stellen Sie sich vor, ihr Vater sei irgendwo, vermutlich in Zentral-Afrika, verschollen. Keiner weiß genau wo, keiner ahnt, was ihn in diese Gegend verschlagen hat, keiner weiß, ob er noch lebt. Sie versuchen sich mühsam ein Bild zu machen, Spuren, Hinweise zu sichten, um ihn zu finden. Schritt für Schritt nähern Sie sich dem Ziel.
Diese schrittweise Annäherung, der Recherche-Fortschritt, gibt ihrer Geschichte die Struktur. Sie beschreiben Fortschritte und Rückschläge, bis sie schließlich wissen, was aus ihrem Vater geworden ist.

Oft bilden Autoren eine These, die dann – beispielsweise in einer Dokumentation – Schritt für Schritt verifiziert oder falsifiziert werden kann. Beispiel: bedingungsloses Grundeinkommen: Wären die Menschen glücklicher oder unglücklicher, wenn sie nicht mehr gezwungen wären, zu arbeiten?

Mögliche Erkenntnisfragen: Welche Philosophie steckt hinter dem Projekt? Gibt es Beispiele, wo Gruppen ein solches Experiment durchgeführt haben? Welche ökonomischen, psychologischen, sozialen oder kulturellen Folgen wurden dabei beobachtet? Wäre ein solches Projekt in größerem Stil finanzierbar? Welche volkswirtschaftlichen Konsequenzen hätte ein solches Projekt? Welche Auswirkungen hätte es auf die Umwelt? Welche Gruppe, welche Typen hätten den größten Vorteil, welche den größten Nachteil? Was überwiegt am Ende des Experiments: Zufriedenheit/Glück oder Unzufriedenheit, ein Gefühl der Nutzlosigkeit?

Parallelhandlungen

Um Parallelhandlungen zu konstruieren, sind mindestens zwei Handlungsstränge, also mindestens zwei Geschichten erforderlich.  Die einzelnen Stories haben scheinbar nichts miteinander zu tun, vereinigen sich aber spätestens in der finalen Szene.

Beispiel: Das ist die Geschichte eines Lkw-Fahrers, der morgens übermüdet in sein Fahrzeug steigt, immer noch wütend wegen des Streits mit seiner Frau. Aber er fühlt sich fit genug, um seinen Truck über die Autobahn zu steuern.

Und dann ist da die Geschichte der Zwillinge Peter und Paul, die Werbeprospekte verteilt, Autos gewaschen und für ältere Nachbarn Einkäufe erledigt haben, um sich das Geld für die Klassenfahrt zu verdienen. Sie haben es wirklich geschafft. Aus eigener Kraft. Jetzt steigen sie freudestrahlend in den Bus ein, der sie zum Ferienlager bringen soll.

Auf der A 8, beim Aufstieg zur Schwäbischen Alb, passiert es: Der Truck rutscht auf einer Ölspur aus und rammt frontal den Bus mit den Zwillingen Peter und Paul…

Auch der Wettlauf zwischen zwei Helden, die ein Ziel erreichen wollen, ohne sich je zu begegnen, zählt zu den parallel strukturierten Stories. In unterschiedlichen Handlungssträngen, die nur durch das gemeinsame Ziel der Helden verbunden sind , erleben wir beispielsweise den Wettlauf zum Südpol zwischen Roald Amundsen und Robert Scott; eines der vielen Meisterwerke von Stefan Zweig[9] (Der Kampf um den Südpol).

In seiner romantischen Komödie „Ein Sommernachtstraum“ verwebt William Shakespeare [10]gleich vier Handlungsstränge zu einer Geschichte. Die Hochzeitsvorbereitungen des Herrscherpaares von Athen bilden den Rahmen der Handlung. Der zweite Strang folgt einer Gruppe von Laienschauspielern, die ein Theaterstück für die Feier einstudieren. Parallel dazu wird die Liebesgeschichte zweier adeliger Paare erzählt. Und schließlich spielt der Streit des Elfenkönigs-Paares eine zentrale Rolle.

Nebenstränge werden oft eingebaut, um die Handlung unterbrechen und die Auflösung hinauszögern zu können. Denn, ganz ehrlich, wie lange trägt eine Geschichte über beispielsweise einen Kommissar, der höchst effizient ermittelt und schnurgerade zum Ziel gelangt? Der Held braucht Hindernisse, Rückschläge, um zeigen zu können, was in ihm steckt.

Krimi-Autoren bauen deshalb immer wieder Cliffhanger ein, an denen der Erzählstrang mit dem Ermittler unterbrochen und auf eine Parallelhandlung umgeschaltet wird. So lässt sich die Lösung hinauszögern und die Spannung halten. Der zweite Strang beleuchtet derweil das Verhalten des Täters, bis auch hier an einem spannenden Punkt unterbrochen und auf den ersten Strang umgeschaltet wird.

Wenn allerdings schon die beiden ersten Stränge nur so „erwartungsgemäß“ vor sich hinplätschern, macht auch die dritte und vierte Parallelhandlung die Story nicht spannender. Die Gesetze der Dramaturgie gelten eben für jeden Faden der Erzählung.

Episodische Erzählung

Wenn sie Autor bei einer TV-Serie werden wollen – das hier ist ihre Struktur. Jede Folge erzählt eine eigenständige, meist in sich abgeschlossene Geschichte (Episode), die auch dann verständlich ist, wenn man die vorausgegangene Folge nicht gesehen hat. Das Setting, das übergeordnete Thema und das Ensemble ist in jeder Episode gleich.

Die Vorabendserie „Notruf Hafenkante“ (ZDF) ist solch ein Beispiel für eine Episoden-Struktur. Es geht um den polizeilichen Alltag in einem fiktiven Kommissariat (PK 21) in den mehrere Teams ermitteln. Die Fälle reichen von Ruhestörung bis zu Suche nach vermissten Personen.

Das übergeordnete Thema ist der Alltag der Polizei. Das Kommissariat (Hafenkante) und das Personal sind in jeder Folge einer Staffel identisch. Was sich ändert sind die Fälle.

Häufiger werden in einer Folge mehrere Fälle parallel erzählt, die nur durch den „Rahmen“ Kommissariat (PK) verbunden sind. Eine zeitliche, inhaltliche oder kausale Beziehung existiert meist nicht. Da ist zum Beispiel der Fall des Herrn B., der Probleme mit seiner pubertierenden Tochter hat. Gleichzeitig deckt ein anderes Polizistenpaar ein illegales Bordell auf und nimmt eine junge Prostituierte fest.

Ein zweiter, ständiger Schauplatz ist ein Krankenhaus, dessen Ärzte mit der Polizeiwache eng verbunden sind und die sich um Opfer oder Täter aus dem „Kundenkreis“ des PK kümmern. Gerne werden auch private Probleme der Polizisten erzählt, um die Akteure „privater“ erscheinen zu lassen und so eine Identifikation zu erleichtern.

Der Vorteil dieser Struktur: Die Charaktere sind vertraut, die Umgebung bekannt. Lange Einführungen in neue Episoden   folglich nicht nötig, Der Zuschauer bewegt sich auf bekanntem Terrain.

Strahlenkreis- oder Wagenrad-Struktur

Die Struktur ähnelt einem Strahlenkreis mit einem zentralen Punkt in der Mitte. Jeder Strahl geht von diesem Zentrum des Kreises aus und steht sinnbildlich für eine Kurzgeschichte, eine Vignette oder ein Gedicht. Wenn ihnen der Vergleich mit dem Wagenrad besser gefällt, stellen Sie sich bitte einen hölzernen Reifen vor, dessen einzelne Speichen von der Nabe zum Felgenkranz führen. Die Nabe ist der Dreh- und Angelpunkt der Erzählung. Dabei kann es sich um eine Person, einen Ort oder auch um eine Idee handeln. Jede Geschichte kann zu unterschiedlichen Zeiten spielen und in unterschiedlichen Formaten erzählt werden. Wichtig ist nur, dass jede Episode eine Beziehung zum zentralen Punkt hat. 

Eine geeignete derartige „Nabe“ wäre beispielsweise das Brandenburger Tor als Schauplatz deutscher Geschichte. Die Episoden, die das Tor als „Protagonist“ erzählen könnte, reichen von seiner Funktion als eines der 18 Berliner Stadttore über seine „Erlebnisse“ mit Napoleon, den Aufmärschen der Nazis, seiner Symbolik im kalten Krieg bis zu seiner bewegenden Rolle bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten.

 Lehrbuchartig ist dies Format in dem Roman „Das Haus in der Mango Straße“ von der mexikanisch-amerikanischen Schriftstellerin Sandra Cisneros realisiert worden. Die Hauptfigur, Esperanza, lebt in einem Arbeiterviertel mit Puerto-Ricanern und Mexikanern und beobachtet ihre Umwelt. Was sie erlebt, schildert sie in 44 kleinen Episoden.

 Jede Episode, die auch mal nur ein paar Absätze lang sein muss, erzählt eine eigene Geschichte über Personen und Probleme in der Nachbarschaft. Da sind beispielsweise die Vignetten über die Frauen des Viertels: „Die dicke Mamacita, die nur acht Wörter Englisch beherrscht und sich deshalb nicht aus dem Haus traut; Rafaela, die in ihrem Haus gefangen ist, weil ihr Ehemann sie für zu schön hält, um ihr zu erlauben, das Haus zu verlassen. Oder da ist Rosa Vargas, die so viele Kinder hat, dass sie zu erschöpft ist, sich um sie zu sorgen.“

Esperanza begleitet und beobachtet das Leben im Viertel und schildert die Geschichten aus unterschiedlichen Perspektiven: als Kind, als Jugendliche und als erwachsene Frau. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt der Struktur, alle Geschichten gehen strahlenförmig von ihr aus.

Nichtlineare Erzählstruktur

Die Bewohner des Dorfes am Rande der Sahara dösen vor sich hin- Da rennt ein kleiner Junge schreiend auf den Marktplatz: „Die alte Löwin ist zurück.“ Schnell werden drei Männer ausgewählt, die die Raubkatze vertreiben und die Schafherde retten sollen.

Die Fortsetzung der Story folgt dem bekannt-bewährten EHS-Muster. Nach der Einleitung kommt der Höhepunkt (der Kampf mit dem Löwen) und dem Schluss (Vertreibung der Katze).

Spannung entsteht bei der linearen Erzählung durch immer neue Hindernisse, Rückschläge und Kämpfe bis alle Probleme gelöst sind und Mann oder Frau sich zum Helden gemausert haben. Bei nicht-linearen Strukturen können wir auf die dösende Dorfgemeinschaft am Anfang verzichten und springen gleich in die spannendere Kampfszene mit der Löwin. 

Die drei Männer versuchen die Löwin zu vertreiben und gehen mit Speeren auf sie los. Doch dann springt die Katze einen der Jäger an und begräbt ihn unter sich.

Die nächste Szene spielt im Dorf, wo sich die Frauen an die letzte Attacke der Löwin auf die Schafherde erinnern und die schrecklichen Bilder wieder lebendig werden.

Zurück zu den Jägern: die Katze ist verletzt und bis aufs Blut gereizt. Der Jäger unter ihr bewegt sich nicht mehr.

Nicht-lineare Strukturen ermöglichen es, ohne Rücksicht auf die Zeitachse, eine spannende Szene nach der anderen zu platzieren. Wir können in der Zeit vor und zurück springen (Rückblende, Erinnerung, Vorausschau), wir können die Perspektive wechseln, die handelnden Personen und die Schauplätze austauschen.  Das ordnende Element ist die Spannung.

Die lineare Struktur erfordert, dass der Leser gelegentlich in die Irre geführt werden muss, um die Lösung hinauszögern und die Spannung halten zu können. Bei einer nicht-linearen Story sind solche Tricks nicht nötig. Die Ursache-Wirkung-Abfolge ist irrelevant, weil wir die Szenen wechseln oder in sie hinein- und herausspringen können. Perspektiven, Schauplätze und Protagonisten lassen sich austauschen wenn es der Komplexität und der Spannung dient

Der mit einem Oscar gekrönte Streifen „Forrest Gump“, ist solch eine nicht-linear erzählte Film-Geschichte.[11] Die Story dreht sich um die Entwicklung eines unterbelichteten, körperbehinderten jungen Mannes, der sich unbeirrt auf die Suche nach dem Glück macht. Gump erzählt seine Lebensgeschichte einer fremden Person auf einer Parkbank in einer Abfolge von Rückblenden.

 Gump wird – trotz seiner Behinderung – ein berühmter Fußballspieler, darf trotz seines geringen IQ studieren, wird zum Kriegshelden, zum hervorragenden Tischtennis-Spieler und zu einem überaus erfolgreichen Shrimps-Fischer, der mit seinem Kapital bei einer Computerfirma einsteigt.

Der US-Film zeigt eine Abfolge von Geschichten, die an der Lebensline von Gumb angeheftet wurden. Jede Episode ist eine eigenständige, spannende und überraschende Erzählung, die zwischen Mutter, Freundin und Forest hin und herspringt.

Mosaik: Bild um Bildverwebt

 Es gibt nur ein Thema, aber es setzt sich aus unterschiedlichen Bildern zusammen; etwa wie ein Mosaik, das aus verschiedenen Motiven besteht. Die Technik – eine Story in mehr oder weniger in sich abgeschlossenen Szenenbildern zu erzählen – wird gerne in Nummern-Revuen genutzt. Beispiel – die Geschichte des Tanzes.

Das erste Bild zeigt religiös geprägte rituelle Tänze aus Indien und Ägypten, die Tod und Wiedergeburt des Gottes Osiris darstellen.
Der Tanz mit seinen von Trommeln begleiteten rhythmischen Bewegungen führt zur Ekstase, zu einer Trance, in der man hofft, mit den Göttern Kontakt aufnehmen zu können.

Im zweiten Bild springen wir in die Renaissance und erleben Tanz als höfischen Zeitvertreib, der auch die ausgelassenen Bewegungen der unteren Volksschichten imitiert und veredelt. So wie der Landler, der zum Wiener Walzer wird.

Der Gesellschaftstanz beschäftigt uns im dritten Bild mit Tango, Walzer, Quickstepp, mit Samba, Rumba oder Paso Doble.
Im letzten Bild schließlich führt der Schautanz die künstlerischen, sportlichen und religiösen Elemente zusammen. Jedes einzelne Bild steht für sich, hat seinen eigenen, speziellen Reiz und ist doch durch den Oberbegriff „Tanz“ mit den anderen Szenen verbunden.

III. Aufbau der Story

Schlag nach bei Aristoteles

Wenn Sie sich für ihre Erzähl-Idee ein Gefäß, eine Struktur, ausgesucht haben, können wir uns der nächsten Frage nähern: Wie bauen wir die Story auf? Wie erzählen wir möglichst wirkungsvoll unsere Geschichte?

Der griechische Philosoph und Universalgelehrte, Aristoteles[12][13], untersuchte wahrscheinlich als erster den Zusammenhang zwischen Art und Aufbau einer Erzählung und den Empfindungen des Publikums. Aufgabe der Dramaturgie ist es demnach, in jedem Moment der Geschichte beim Leser, beim Publikum eine spezifische Wirkung zu erzielen: Vergnügen, Erkenntnis, Erschütterung, Unterhaltung, Spannung, Emotionen.

Das klassische Drama

Die Technik, mit der wir solche Empfindungen auslösen können, ist die Dramaturgie, die Lehre von der Auswahl und Anordnung erzählerischer Mittel zur Darstellung einer Geschichte.

Das Drama (gr. Tat, Handlung, tun) ist – nach Aristoteles – die „Nachahmung“ einer realen Handlung. Das Geschehen auf der Bühne oder in der Erzählung knüpft folglich an die Lebenserfahrung des Rezipienten an, bietet ihm eine Projektionsfläche und ermöglicht es mit Empathie auf  den Protagonisten zu reagieren. 

Ziel und Zweck der dramatischen Handlung (Tragödie) ist bei Aristoteles die Katharsis (Reinigung), also die Überwindung der Emotionen, die den Zuschauer während der Aufführung erfasst hatten. In der Psychologie steht „Katharsis“ für die Hypothese, dass das Ausleben innerer Konflikte und Verdrängter Emotionen die Konflikte und (Schuld-)Gefühle verringern kann.

Freytags Pyramide

Mitte des 19. Jahrhunderts Nahm sich dann der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, Gustav Freytag[14], des klassischen Dramas nach Art des Aristoteles an. Freytag modellierte aus den Erkenntnissen des klassischen Dramas eine übersichtliche, anschauliche Grafik: den pyramidalen Bau des klassischen Dramas. Dazu hatte er die beiden Handlungshälften (steigender und fallender Teil) in einem Punkt zusammengeführt und die Teile durch Linien verbunden.

Die fünf Punkte der Pyramide

  1. Exposition (steigende Hälfte): Einführung in Zeit und Ort de Handlung, Akteure und Keim des Konflikts.
  2. Erregendes Moment: Der Konflikt steigert sich (Plot-Point 1), der Held muss sich entscheiden
  3. Höhepunkt und Peripetie (Umschlag/Wendepunkt): Der Konflikt erreicht seinen Höhepunkt, der Held steht vor der Entscheidung: Sieg oder Niederlage (Plot-Point 2)
  4. Retardierendes, verzögerndes Moment (fallende Hälfte); Noch ist nichts gewonnen; die letzte, wichtigste Auseinandersetzung steht bevor (Plot-Point 3)
  5. Katharsis, Katastrophe, Lösung, die Entscheidung ist gefallen, der Konflikt gelöst, der Held wird gefeiert.

Der Held auf der Pyramide

Gustav Freytags „Pyramide des klassischen Dramas“ ist allgegenwärtig. Es ist „the same procedure” in vielen Stories, Romanen, Filmen. So oder so ähnlich verlaufen viele Erzählungen:

1. Wir sehen den Helden (falls er schon weiß, dass er der Held ist) im Alltag, an einem Ort, zu einer Zeit. Wir nennen das EXPOSITION/EINLEITUNG.

2. Irgendetwas Ungewöhnliches passiert. Die Gemeinschaft wird mitten im Alltag mit einem Problem konfrontiert, eine Gefahr zieht herauf.  Wir nennen das „ERREGENDES MOMENT“ oder „PLOT-Point 1“. Die Geschichte nimmt jetzt einen anderen Verlauf.

3. Der Held versucht das Problem zu lösen, die Gefahr zu bekämpfen. Natürlich ist auch er nicht frei von Schwächen. (Plot-Point 2). Er muss einen zweifachen Kampf bestehen – gegen die Gefahr/den Feind und gegen den Feind in sich selbst. Eine ganze Reihe von Prüfungen, die immer schwerer und schwerer werden, warten auf ihn. Es kommt zum alles entscheidenden Kampf. Wir nennen das „PERIPETIE/SHOWDOWN“ (Machtprobe, entscheidende Kraftprobe) oder auch HÖHEPUNKT.

4. Unser Held trägt scheinbar den Sieg davon. Doch dann passiert es – der Gegenspieler, der Bösewicht spielt seinen letzten, seinen größten Trumpf aus. Ist jetzt doch alles verloren, hat der Held noch eine Chance? Wir nennen diesen Teil RETARDIERUNG.

Der Held nimmt die Herausforderung an, denn irgendetwas in seinem Leben hat ihn verändert, hat ihn zu einem anderen Menschen gemacht. Das Ereignis, das diese Veränderung ausgelöst hat, nennen wir PLOT-POINT 3. Es gibt ihm die Willensstärke über sich selbst hinauszuwachsen.

5. Unser Held siegt mit letzter Kraft. Jetzt hat er seine Belohnung verdient. Wir nennen das KATHARSIS (Befreiung von Furcht und Mitleid) oder AUFLÖSUNG/SCHLUSS.

Fünf Fragen zum Story-Aufbau

Sie können das Schema auch in fünf Fragen auflösen, um Ihre Story zu strukturieren.

Frage 1 – Ausgangslage, wer ist betroffen, wann und wo passiert das? Wer erzählt?   (zur Erzählperspektive später mehr)

Frage 2 – Was stößt dem Helden zu, was verändert sein Leben und wirft ihn aus der Bahn?

Frage 3 – Mit welchen Konflikten muss er sich auseinandersetzen; wie überwindet er seine inneren und äußeren Schwächen? Wie sieht die Back-Story aus?

Frage 4 – Der Held und sein Widersacher treffen aufeinander. Wer siegt, wer unterliegt?

Frage 5 – Kann der Held seine Schwächen überwinden, das Problem lösen? Wie endet die Geschichte?

„Die Firma“ und fünf Antworten

Nach diesem Muster legt beispielsweise John Grisham, Anwalt und Autor zahlreicher (Justiz-)Thriller, seine Romane an. Er kreiert einen „sympathischen Helden oder eine sympathische Heldin – eine ganz normale Person – und setzt sie einer schrecklichen Situation aus, in der ihr (oder sein) Leben auf dem Spiel steht. In „Die Firma“[15] beispielsweise stellt Grisham seinen Helden, Mitch McDeer, vor die Gewissensfrage „Recht oder Geld und Karriere? Hier die Geschichte im fünf Fragen/Antworten Muster.

Antwort 1 – Ausgangslage: Mitch ist ein hervorragender Harvard-Absolvent, klug und charmant, erfolgsorientiert und etwas – naiv. Er erhält ein unglaubliches Angebot von einer Anwaltskanzlei. Es stimmt einfach alles: Die Arbeit, das Geld, die Sozialleistungen.

Antwort 2 – Was stößt dem Helden zu? Was verändert sein Leben (Plot 1)? Mitch arbeitet bis zur Erschöpfung, aber vernachlässigt dabei seine Frau. Eines Tages entdeckt er, dass in seiner „Firma“ nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Die Kanzlei betrügt bei den Abrechnungen und verwaltet Mafia-Geld. Die Angst um Karriere und Leben steht plötzlich gegen das Ideal, Recht und Gesetz zu verteidigen

Antwort 3 – Worin besteht der Konflikt? Mitch möchte seinen Job nicht verlieren. Aber die Beweise für die Gesetzesverstöße sind eindeutig. Trotzdem – er kann nicht einfach aussteigen. Zwei Kollegen, die das versucht hatten, bezahlten dafür mit ihrem Leben. Plot 2): Er muss diesen inneren Konflikt lösen. Das heißt für ihn, sich entweder mit Haut und Haaren an die „Firma“ zu verkaufen und viel Geld zu verdienen oder sein Leben riskieren und dem kriminellen Treiben seiner Chefs ein Ende bereiten.

Antwort 4 – Der Kampf: Der nicht gerade zimperliche Sicherheitsdienst der Firma ist Mitch bereits auf der Spur. Gleichzeitig wird er vom FBI bedrängt, das seinen Bruder, der im Knast sitzt, freilassen würde, wenn…(Plot 3): Bleibt Mitch loyal gegenüber der Kanzlei oder wird er  für das Recht (und seinen Bruder) eintreten und dafür sein Leben riskieren?

Antwort 5 – Das Ende: Mitch hat sich für das Recht (und für seinen Bruder) entschieden. Er besiegt seine Angst und seine Feinde und gewinnt seine Frau zurück.

Das Modell in „Casablanca“

„Casablanca“[16]  gilt als eines der besten Drehbücher der Filmgeschichte. Schauen wir uns das Stück etwas näher an. Lässt sich „Casablanca“ mit unseren fünf Erzählpunkten strukturieren?

 Die Vorlage für den Film war das bis dahin noch nicht produzierte Theaterstück „Everybody Comes to Ricks „von Murray Burnett und Joan Alison aus 1939. Drei Jahre später wurde „Casablanca“ produziert und bis heute taucht der Schwarz-Weiß-Film bei den unterschiedlichsten Umfragen immer wieder unter den Top 10 in der „ewigen Bestenliste“ der Film-Geschichte auf.

Um was geht es?  Die Story in einem Satz. Dies ist die Geschichte einer enttäuschten Liebe, die Jahre später bei einer zufälligen Begegnung in Nordafrika wieder aufflammt und den zunächst verbitterten Liebhaber zu einem großmütigen Verzicht bewegt und zum Mörder werden lässt, damit der Rivale mit Ricks Ex-Geliebter glücklich werden und seine Mission wider das Unrecht. fortsetzen kann.

I. 1. Exposition: Wo und wann spielt die Story? Wer sind die Hauptfiguren?  In welcher Situation, in welchem Problem ist der Konflikt angelegt, dem der Held ausgeliefert wird?

Zweiter Weltkrieg, die Deutschen haben Frankreich teilweise besetzt. Zum unbesetzten Teil gehört das französische Protektorat Marokko. Die neutrale Stadt Casablanca ist Ziel vieler Flüchtlinge, die von hier aus nach Lissabon und dann weiter nach Amerika zu kommen hoffen. Es bleibt meist bei der Hoffnung

In Casablanca betreibt der Amerikaner Rick Blaine einen Nachtclub, der der wichtigste Schauplatz der Geschichte ist. Dann gibt es da noch den korrupten Polizeichef Capitaine Louis Renault, der sich mit Geld und Sex bestechen lässt.
 
Auf der Flucht vor den Nazis trifft der berühmte Widerstandskämpfer Victor Laszlo mit seiner Frau Ilsa Lund in Casablanca ein. Der deutsche Major Strasser versucht zu verhindern, dass Laszlo nach Lissabon und damit den Nazis entkommen kann. Ilsa ist die frühere Geliebte von Rick, den sie – ohne Erklärung – in Paris verlassen hat.

In der Exposition angelegte Konflikte: Gelingt es Strasser den Widerstandskämpfer Laszlo an der Flucht zu hindern? Wie reagiert Rick auf das Wiedersehen mit Ilsa? Kann sie den völlig verbitterten, zynisch und egoistisch gewordenen Rick versöhnen, ihm klarmachen, warum sie damals so plötzlich verschwunden ist? Und auf welche Seite wird sich der Polizeichef schlagen? Wer bietet ihm mehr – Rick oder Strasser?

II. Plot Point 1 – die Wende  – Auslösendes Ereignis (inciting incident) – Die Story ändert ihren Lauf. Plot Point I zwingt die Figuren, ein größeres Risiko einzugehen, wenn sie ihre Ziele erreichen wollen.

Plot-Point 1 im Beispiel: Zwei deutsche Offiziere werden ermordet, ihre Transit-Visa, mit denen man Casablanca unbehindert verlassen kann, werden gestohlen. Der Dieb versteckt die Papiere bei Rick. Renault und Strasser lassen das Lokal durchsuchen. Vergeblich. Der Dieb stirbt im Gefängnis. Nur Rick kennt jetzt noch das Versteck der Transit-Visa. Laszlo bemüht sich vergeblich, Papiere für den Flug nach Lissabon zu bekommen. Er versucht deshalb, Rick die Papiere abzukaufen. Rick verwehrt ihm das mit dem Hinweis auf Laszlos Frau Ilsa.

Die Motivlagen: Rick will Rache, Laszlo will weg, um die Welt zu retten, Strasser will Laszlo festhalten, Renault will einen guten Eindruck auf Strasser machen.

III.  Der Höhepunkt – an diesem Punkt geht es um alles oder nichts. Was geschieht mit dem Helden? Gibt er auf? Gewinnt er? Überwindet er seinen Egoismus? Vergisst er die Kränkung durch Ilsa?

Plot-Point 2 – Der Held muss handeln und das Problem so oder so lösen. Er muss sich entscheiden für Hass oder Liebe, für die gute oder die böse Seite.

Ilsa schleicht sich heimlich zu Rick und will ihn überreden, die Papiere herauszugeben. Rick weigert sich. Sie bedroht ihn mit einer Pistole. Auch das beeindruckt den verbitterten Ex-Geliebten nicht. Da gesteht Ilsa, dass sie immer noch in ihn verliebt sei und erklärt ihm, was damals in Paris passiert ist. Sie fordert ihn auf, jetzt für beide zu denken; sie habe keine Kraft mehr. Rick verdrängt seine Verbitterung und entwickelt einen Plan, um Ilsa und seinem Rivalen Laszlo zu helfen.

IV.  Retardierendes Moment: Der Held hat einen Sieg über sich selbst, über seine Verbitterung davongetragen, aber nun muss er sich einer weiteren, einer großen äußeren Herausforderung stellen.

Rick täuscht Renault vor, er wolle Laszlo die Papiere übergeben. Dabei soll der Polizeipräsident den Widerstandskämpfer auf frischer Tat erwischen und verhaften. Als Renault das versucht, hindert Rick in absprachewidrig daran und zwingt ihn mit Waffengewalt zum Flughafen zu fahren. Renault gelingt es trotzdem heimlich Major Strasser zu informieren, der dann ebenfalls zum Flughafen fährt, um Laszlos Abflug in letzter Sekunde zu verhindern. Dort muss Rick  den deutschen Major erschießen, damit Ilsa und Laszlo die Maschine erreichen können.

Motivlage: Rick wandelt sich vom verbitterten, sitzen gelassenen Liebhaber zum Retter seiner Geliebten und seines Rivalen. Laszlo erklärt Rick seine Dankbarkeit und Freundschaft. Er kann – sobald er in Lissabon gelandet ist – seine Mission zur Rettung der Welt vor den Nazis fortsetzen. Ilsa fügt sich in ihr Schicksal. Renault entdeckt überraschend seinen Patriotismus.

V.  Schluss: Die Charaktere sind geläutert, haben ihren inneren Schweinehund überwunden und die Probleme sind gelöst. Renault „vergisst“, dass er sich eigentlich mit den Deutschen gut stellen sollte und entdeckt wieder den Franzosen in sich. Er verschweigt vor seinen anrückenden Polizisten, dass Rick den Major erschossen hat und lässt stattdessen die „üblichen Verdächtigen“ verhaften. Der Film endet mit Ricks Worten: „Louis, ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.“

Ein Screenplay in drei Akten

Syd Field’s „Screen Play: The Foundations of Screenwriting“[17] gehört zu den Standardwerken im Scheib-Geschäft. Field’s Modell sieht eine Untergliederung der Handlung in drei Akte vor, die durch “Plot Points” voneinander abgegrenzt sind.

Die Plot-Points (oder Turning-Points) markieren auch hier die Wende im Ablauf der Story und geben ihr eine neue Richtung. Field gibt zudem Anweisungen, wann die Plot-Points zu setzen sind. Hier ein Beispiel für eine „Drei-Akten-Story“ mit zwei Plot-Points. Anklänge an den Film „Rocky“ sind nicht zu übersehen.

Akt I (Seite 1 bis 30) Johny ist ein heruntergekommener Boxer, ein Strolch, ein Schläger. Er verdient sich ab und zu ein paar Dollar als Sparringspartner in einer Boxschule dazu. Dort entdeckt ihn ein Box-Promotor, der dringend ein „Opfer“ für den nächsten Kampf seines Champions braucht. 

Plot-Point 1 (Seite 27 bis 30):  Der Promotor macht Johny ein Angebot: „100.000 Dollar, wenn du mehr als drei Runden gegen meinen Champion durchhältst.“

Akt II (Seite 30 bis 90)              Johny ist faul, antriebslos und liegt am liebsten mit der Bierflasche in der Hand vor dem Fernseher auf der Couch. Johny weiß, dass er keine Chance hat, aber er will das Geld. Dafür lässt er sich auch mal verprügeln.

Plot Point 2 (Seite 85 bis 90):  Johny lernt Alice kennen und verliebt sich Hals über Kopf in sie. Er will ihr beweisen, dass er ein ganzer Kerl ist, ein guter Boxer und kein „couch-potatato“

Akt III (Seite 90 bis 120): Johny überwindet seine Lethargie, trainiert bis zur Erschöpfung, ernährt sich gesund und verzichtet auf Alkohol. Er wächst buchstäblich über sich hinaus. Und jetzt will er nicht mehr nur abgeschlachtet werden – er will 15 Runden durchstehen und – gewinnen. Und er gewinnt.[18]

Zusammenfassung klassischer Aufbau

Eine Geschichte braucht einen Protagonisten (Exposition), eine Person, die mit einem Problem konfrontiert ist, das sie aus der Bahn wirft (erregendes Moment). Damit diese Person über sich hinauswachsen, also zum Helden werden kann, muss sie sich dem Problem stellen und ihren „inneren Schweinehund“ überwinden, weil sonst die Probleme noch größer würden.

Es kommt zur Auseinandersetzung. Es geht um „Alles oder Nichts“ (Höhepunkt). Die Entscheidung ist scheinbar gefallen.  Gerade als alle hoffen, das Problem sei gelöst, kommt eine noch größere Bewährungsprobe auf den Helden zu (retardierendes Moment) Erst wenn er auch diese bestanden hat, ist er reifer, glücklicher, attraktiver geworden. (Lösung, Katharsis).

Identifikation, Sympathie, mit einem der Protagonisten sind die Voraussetzung für „Furcht“, Mitleid und damit für „Spannung“ beim Leser. Mitleid (eleos) entsteht nach Aristoteles, wenn dem Protagonisten etwas Böses, Verhängnisvolles zustößt, das er nicht verdient hat. Mitleid könne man nur für eine Person empfinden, die als moralisch gut wahrgenommen wird.  Der Zuschauer/Leser soll das Verlangen haben, der leidenden Person zu helfen. Je mehr auf dem Spiel steht, je größer die „Fallhöhe“, umso stärker die Spannung.

Joseph Campbell: Die Heldenreise

Ein durchgängiges Grundmuster in der Struktur der weltweiten Mythologien hat der US-amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell[19]ausgemacht. Alle Naturvölker, die Joseph Campbell: besucht hatte, erzählten sich Geschichten, die aus typischen Situationen in einer ganz bestimmten Abfolge bestanden und in denen immer wieder ähnliche Charaktere (Archetypen) vorkamen.

Campbell beschrieb dieses Grundmuster und nannte es die Reise des Helden (Hero’s Journey). Das Buch wurde zum Bestseller. Bob Dylan, Jim Morrison, Stanley Kubrick, George Lucas, Steven Spielberg und zahlreiche andere Künstler berufen sich auf Joseph Campbell.

Der Drehbuch-Autor Christopher Vogler hatte die Heldenreise aus dem wissenschaftlichen Elfenbein-Turm geholt. Er verfasste zunächst ein Memo dazu: „Eine praktische Einführung in ‚Der „Heros in tausend Gestalten“, das er verschiedenen Kollegen zukommen ließ.

Auch seinen Kollegen in den Walt Disney-Studios, wo er als Story Analyst arbeitete, kamen in den Genuss seiner Überlegungen, wie man Joseph Campbell:s „Heros“ für den Film nutzen könnte. Das Memo verhalf Vogler angeblich zu einem Job als Story Consultant für „König der Löwen“. Spätestens damit wurde aus der Heldenreise ein Siegeszug im amerikanischen Kino. Die Star-Wars-Filme (George Lucas) beispielsweise sind nach dem Muster der Heldenreise angelegt. Aber auch „Pretty woman“ oder „findet Nemo“ oder „Harry Potter“ orientieren sich an Campbell/Voglers Erzähl-Zyklus.

In seinem Buch „The Writer’s Journey“ (Die Odyssee des Drehbuchschreibers) beschreibt Christopher Vogler[20] das Modell der Heldenreise als Drei-Akter mit „Aufbruch-Neuland-Rückkehr: Der Held verlässt seine gewohnte, alltägliche Umgebung, wagt sich in eine gänzlich unbekannte Welt und stellt sich deren Herausforderungen.

 Die Reise des Helden“, schreibt Vogler, sei allerdings nur „ein Leitfaden – kein Kochrezept und keine mathematische Formel, die sich schematisch auf jede Geschichte anwenden ließe.“

Der Zyklus der Heldenreise nach Vogler

I. Akt

1. Ausgangspunkt ist die gewohnte Welt des Helden, also der Alltag des Protagonisten. Die Schilderung macht auch den Kontrast zur neuen Welt klar.

2. Der Held wird zum Abenteuer gerufen. Er wird konfrontiert mit dem Problem, mit der Herausforderung. Er soll sich entscheiden, aber eigentlich ist schon klar, er kann nicht mehr so weitermachen wie bisher

3. Trotzdem verweigert er sich zunächst der drohenden Veränderung. Er hat Angst, will dem Ruf nicht folgen, überlegt, wie er umkehren kann

4. Ein Mentor überredet ihn die Reise anzutreten und das Abenteuer beginnt. Der Mentor bereitet den Helden auf das Unbekannte vor

5. Der Held überschreitet die erste Schwelle. Er hat seine Angst überwunden und tritt in die neue Welt ein. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Jetzt geht die Geschichte richtig los

II. Akt

6. Erste Bewährungsproben; Verbündete und Feinde treten auf
 In der neuen Welt warten Herausforderungen und Bewährungsproben. Und neue Freunde und Feinde

7. Nun dringt er bis zur tiefsten Höhle vor und trifft dabei auf den Gegner. Der Held befindet sich nahe dem gefährlichsten Ort. Hier ist auch das Ziel seiner Wünsche; allerdings werden die Hindernisse auch immer größer

8. Entscheidende Prüfung Konfrontation mit dem Gegner. Der Held muss seine größte Angst überwinden, ein Kampf auf Leben und Tod,

9. Belohnung (Ergreifen des Schwertes). Der Held hat die Todesgefahr überlebt und wird belohnt: mit Selbsterkenntnis,
 mit der Lösung des Konflikts

III. Akt

10. Rückweg/letzter Kampf. Er muss die Konsequenzen tragen aus seiner Begegnung mit den dunklen Mächten, denn das Böse will Rache.

11.  Klimax: Der Held ist durch das Abenteuer zu einer neuen Persönlichkeit gereift. Aber er muss eine letzte, die schwerste        Prüfung bestehen, eine alles entscheidende Begegnung mit dem Bösen steht bevor. Die Erfahrung von Tod und Wiedergeburt hat den Helden ein für alle Mal verändert. Er kann das Böse besiegen.

12. Rückkehr mit dem Elixier.[21] . Als neuer Mensch kehrt er in die gewohnte Welt zurück. Doch die Reise wäre sinnlos gewesen, wenn er kein Elixier aus der anderen Welt mitgebracht hätte. Das Elixier steht für Liebe, Freiheit, Weisheit, Wissen.

Lukes Heldenreise im Krieg der Sterne

Schauen wir uns am Beispiel „Star Wars“ an, wie die Heldenreise funktioniert. Die (gekürzte) Analyse stammt von Christopher Vogler:

1.Die gewöhnliche Welt, der Alltag (hier Luke als Bauernjunge). Er langweilt sich, sehnt sich nach Abenteuer.

2.Berufung – Ein Problem verhindert, dass der Protagonist sein normales Leben weiterführen kann   – hier Hilfsersuchen der Prinzessin Leia: rette mich aus den Händen des bösen Darth Vader. Du bist meine letzte Hoffnung

3.Zögern/Verweigerung – Luke hat Angst das Risiko einzugehen, er kehrt auf die Farm des Onkels zurück. Doch seine Verwandten sind inzwischen umgebracht worden – Luke kann sich dem Hilferuf nicht mehr entziehen

4.Mentor/übernatürliche Hilfe – Treffen mit dem Mentor – Obi schenkt Luke das Lichtschwert seines Vaters

5.Überschreiten der Schwelle – Der Held ist bereit in eine neue Welt einzutreten. Das Abenteuer beginn.

6.Prüfung/Bewährung, Verbündete und Feinde: Luke erfährt von der Streitmacht des Imperiums, er gewinnt die Mithilfe von Han Solo. Auf dem Todesstern trifft Luke auch auf Feinde (Darth Vader). Er wächst an seinen Aufgaben

7.Die Annäherung an die innerste Hölle: Luke will die Prinzessin retten und nähert sich der innersten Hölle – hier das Raumschiff Todesstern, in dem Leia als Geisel gefangen ist

8.Entscheidende Prüfung/Große Martyrium – Kampf mit dem Drachen, hier Luke gerät in riesige Müllpresse

9.Belohnung – Nach der Flucht haben die Rebellen Leia gerettet und wertvolle Informationen über den Todesstern erhalten.

10. Der Weg zurück – Die Rebellen bereiten sich auf den Angriff auf den Todesstern vor. Luke entscheidet sich, als Pilot teilzunehmen.

11. Klimax – In der finalen Schlacht steht Luke dem Tod gegenüber. Durch die Macht und Obi-Wans Stimme überwindet er seine Zweifel – und zerstört den Todesstern.

12.Rückkehr mit dem Elixier – Luke kehrt als Held zurück, gestärkt durch die Erfahrung. Die Rebellion hat einen entscheidenden Sieg errungen, und Luke ist nicht mehr derselbe wie zu Beginn.

Abschluss

Wir haben diese „Schreibstunde“ mit der Gretchen-Frage eingeleitet und die vorgegebenen 60 Minuten recht erheblich überzogen. Aber ich hoffe, dass wir nicht ganz so allgemein geblieben sind, wie der Dr. Faust bei Gretchens Frage nach der Religion. Der Herr Doktor hatte bekanntlich anderes im Sinn als sich über Religion zu unterhalten. Nun, sagt er und Mephisto lächelt im Hintergrund: «Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott. Ich habe keinen Namen.»

Spickzettel  VI. Erzählstruktur


                 Die Geschichte strukturieren

Pyramiden-Modell von Gustav Freytag nach Aristotles. Die Geschichte entwickelt sich in fünf Etappen vom Alltag bis zur Problemlösung:
1. Exposition: Einleitung: Grundstimmung und Ausgangssituation; wichtige Figuren treten auf
2. Erregendes Moment: Der Keim des Problems wird gelegt – erste Verwicklungen – ein „Held“ wird gesucht, der der Gemeinschaft helfen kann 
3.  Klimax: Steigerung der Handlung bis zum Höhepunkt. Das ist die entscheidende Wende. Jetzt geht es um Alles oder Nichts. Eine Umkehr, eine einfache Lösung des Konfliktes ist nicht mehr möglich – Showdown – Kampf Held vs. Antagonist
4. Retardierendes Moment: Der schon sicher geglaubte Sieg ist gefährdet – die letzte größte Prüfung wartet auf den Helden
5. Katharsis/Katastrophe/ Lösung: Untergang des Helden oder positive Lösung

Struktur in fünf Fragen

Das pyramidale Modell des Gustav Freytag lässt sich auch in fünf Fragen auflösen:

Frage 1 – Ausgangslage: Wer ist betroffen, wann und wo passiert das? Wer erzählt?

Frage 2 – Erregendes Moment: Was stößt dem Helden zu, was verändert sein Leben und wirft ihn aus der Bahn?

Frage 3 – Klimax: Mit welchen Konflikten muss er sich auseinandersetzen? Wie überwindet er seine inneren und äußeren Schwächen? Wie sieht die Back-Story aus?

Frage 4 – Retardierendes Moment: Der Held und sein Widersacher treffen nach dem scheinbar gewonnenen Kampf erneut aufeinander. Schafft es der Held noch einmal?

Frage 5 – Katharsis: Kann der Held seine Schwächen überwinden, das Problem lösen? Wie endet die Geschichte?

Syd Field , Drei-Akte-Modell


Die Story wird in drei Akte eingeteilt, die zeitlich festgelegt und durch die Plot-Points voneinander getrennt sind.

  1. Akt Exposition: 30 Seiten. Plot-Point etwa auf den Seiten 27 – 30
    2. Akt Konfrontation: Seiten 30 – 90 – Plot-Point etwa auf den Seiten 85 – 90.
    3. Akt Auflösung; Seiten 90 – 120

Die Heldenreise

I. Akt

1. Ausgangspunkt ist die gewohnte Welt

2. Der Held wird zum Abenteuer gerufen.

3. Trotzdem verweigert er sich zunächst

4. Ein Mentor überredet ihn

5. Der Held überschreitet die erste Schwelle.

II. Akt

6. Erste Bewährungsproben

7. Nun dringt er bis zur tiefsten Höhle vor

8. Entscheidende Prüfung

9. Belohnung (

III. Akt

10. Rückweg/letzter Kampf.

11.  Klimax: Der Held ist durch das Abenteuer zu einer neuen Persönlichkeit gereift.

12. Rückkehr mit dem Elixier

Die Plots

sind entweder „Action – „ oder „character-driven“.
Sie bestehen aus „Storylines“ (Handlungssträngen), die im Laufe der Geschichte zusammengefügt werden.

Erzählformen
– als Handlung/szenische Darstellung
– als Beschreibung oder Kommentar
– als narrative Zusammenfassung


Anregungen für Übungen  VI.

Analyse einer Geschichte

Versuchen Sie bitte den “Konstruktions-Plan“   eines Buches oder eines Films zu beschreiben. Gliedern Sie zunächst in die fünf Hauptteile: Exposition – erregendes Moment – Höhepunkt – retardierendes Moment – Schluss

Versuchen Sie dann die Plot-Points (Wendemarken der Geschichte) zu skizzieren. Warum nimmt die Story einen anderen Verlauf? Was hat die Richtungsänderung bewirkt? Wie glaubhaft ist der Wandel des Protagonisten?

Konstruktions-Übung

Nutzen Sie Ihren bereits „erschaffenen “Helden“ und seinen Gegenspieler (oder lassen Sie sich andere Figuren einfallen) und konstruieren Sie eine Geschichte.

Denken Sie bitte daran – Ihr Held braucht ein Ziel, den Willen unbedingt etwas zu erreichen. Dieses Ziel muss nachvollziehbar sein. Die Motivation des Protagonisten ist das Rückgrat der Story.

Der Held ist nicht immer nur ein Gut-Mensch. Er hat Schwächen Ängste, er muss sich selbst überwinden, um das Ziel zu erreichen. Gestalten Sie einen glaubhaften Wandel, um aus einem Menschen mit Schwächen, einen Menschen mit dem unbedingten Willen zu gestalten, der seine Schwächen überwinden will.

Und – lassen Sie dem Leser die Chance, mitzudenken. Wenn Sie ihm diese Möglichkeit nehmen, fühlt er sich wahrscheinlich unterfordert, gelangweilt oder bevormundet. Das eine ist so schlecht wie das andere.

Die Story soll nicht ausformuliert sein, sondern nur deutlich machen, wie Sie sich den Ablauf in einem 5-Akte-Schema vorstellen.

1. Wo und wann spielt die Geschichte?  Wer sind die handelnden Personen?

2. Welches Ereignis verändert die alltägliche Situation? Wer löst es aus? Wer leidet darunter? Wer könnte helfen?  Welche Interessen vertreten die Parteien?

3. Wann, warum und wie treffen die Kontrahenten aufeinander? Welche Motive treiben sie? Welche Ziele vertreten sie- und welchen Preis sind sie bereit, dafür zu zahlen? Welche eigenen Schwächen muss der Held bekämpfen?

4. Was verhindert (zunächst) den „Sieg“ des Protagonisten? Welche gewaltige Hürde steht zwischen ihm und seinem Ziel?

5. Wie schafft es der Protagonist schließlich auch die letzte Hürde zu überwinden? Welche Belohnung erwartet ihn? Wie hat sich seine Persönlichkeit durch die Geschichte verändert?

Quellenhinweise


[1] Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832), „Faust – der Tragödie erster Teil“

[2]  Beispiel nach Otto Kruse, „Kunst und Technik des Erzählens –
            Wie Sie das Leben zur Sprache  bringen können“, S. 194; siehe oben 72

[3]  Klaus Harpprecht, „Die Leute von Port Madeleine–Dorfgeschichten aus der Provence“, rororo, 2000

[4] Robert Schneider, „Schlafes Bruder“, Reklam, 2007

[5] Nina Jäckle, „Zielinski“, Klöpfer + Meyer, 2011

[6]  William Shakespeare, „Romeo und Julia“, Reclam, 1998

[7] William Shakespeares, „Romeo und Julia“ ,fünfte Szene in einem Saal in Capulets Haus.

[8] Gebr. Grimm, „Die schönsten Kinder- und Hausmärchen“, Kapitel 69 von Jacob und Wilhelm    Grimm, zitiert nach „Projekt Gutenberg.de“

[9] Stefan Zweig (1881 – 1942), Episode aus „Sternstunden der Menschheit“

[10] William Shakespeare (1564 – 1616)

[11] „Forest Gump“, US-Spielfilm 1994, mit Tom Hanks, Direktor: Robert Zemeckis

[14] Gustav Freytag (1816 – 1895), „Die Technik des Dramas“

[15]  John Grisham, „Die Firma“ Heyne-Verlag;,1994

[16]  „Casablanca“, US-Spielfilm, 1942, Regie Michael Curtiz,
      Drehbuch Julius J. Epstein, Philip G. Epstein

[17]  Syd Field,  „Screenplay: The Foundations of Screenwriting”, Delta; Revised edition, 2005

[18] Das Beispiel orientiert sich an dem US-Spielfilm „Rocky“, 1976, Drehbuch Sylvester Stallone

[19] Josef Campbell, „Der Herois in tausend Gestalten“, Insel-Taschenbuch, 1999

[20] Christopher Vogler, “The Writer’s Journay – Mythic Sturcture for Writers”,
     Deutsch: “Die Odysee des Drehbuchschreibers“, Zweitausendeins, 2010

[21] Frei nach http://de.wikipedia.org/wiki/, download November 2012