Beiträge zur Zeit- und Mediengeschichte – Folge 01
Geschichte wiederholt sich nicht. Hoffentlich. Wie wurden aus den Waffenbrüdern gegen Nazi-Deutschland so schnell erbitterte Feinde? Geschichte wiederholt sich nicht, aber aus Fehlern lernt offensichtlich auch nicht jeder.
1946 versuchte Stalin seine Macht im Iran auszuweiten und Osteuropa unter seine Kontrolle zu bringen. Der Westen antwortete im April 1949 mit der Gründung der NATO. Westdeutschland entwickelte sich vom Feind-Staat zum Verbündeten der Westmächte.
Im Frühjahr 2014 annektierte Russland die ukrainische Halbinsel Krim, am 24. Februar 2022 überfielen Putins Truppen die Ukraine. Der Angriff und die Kriegsverbrechen der Russen im Nachbarland, schweißten den Westen und die Ukraine zusammen, Finnland und Schweden gaben ihre traditionelle Neutralität auf und traten der NATO bei. Die Ukraine wurde zum Symbol des Widerstandes gegen Unmenschlichkeit und Zerstörung. 1946 zerrissen die Expansionsgelüste eines Staates die Welt in zwei feindliche Blöcke, die beide in der Lage waren, die Welt zu vernichten. Wiederholt sich Geschichte doch?
Abstract
Die Lage 1988/89: Die Welt ist in zwei feindliche Lager gespalten, die sich hochbewaffnet gegenüberstehen. Jede Seite konnte mit ihrem Atomwaffen-Arsenal den Gegner jederzeit vernichten. Aber die Schlagkraft der anderen Seite war dann immer noch groß genug, um den Angreifer ebenfalls auszulöschen. Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter.
Diese Overkill-Fähigkeit beider Seiten hat ein „Gleichgewicht des Schreckens“ hervorgebracht, das eine direkte Auseinandersetzung, nicht aber weltweite Stellvertreter-Kriege verhindert hat. Mitten durch Europa verläuft eine rund 8500 km scharf gesicherte Demarkationslinie: Der Eiserne Vorhang.
Inhalt
Der Eiserne Vorhang
Eine Insel im „roten Meer“
USA vs. UdSSR
Wie aus Waffenbrüdern Feinde wurden Die NATO
Der Warschauer Pakt
Die feindlichen Blöcke
Stellvertreter-Kriege
Der Eiserne Vorhang zerfällt
Die Rolle Russlands
Der Eiserne Vorhang
Dieser „Eiserne Vorhang“, wie ihn Winston Churchill schon 1946 genannt hat, trennt nicht nur Ost von West, er trennt zwei Welten:
– Kommunismus vom Kapitalismus
– Marktwirtschaft von Planwirtschaft
– Freiheit und Demokratie von der Diktatur und dem Alleinvertretungsanspruch einer Partei
– Selbstbestimmung von der Vorherrschaft eines Staates über andere Länder
Über rund 8500 km erstreckt sich diese Demarkationslinie; von der arktischen Barentssee an der Nordspitze Norwegens bis zum Schwarzen Meer im Süden. Sie verläuft entlang der Westgrenze der Sowjetunion, über Polen, mitten durch Deutschland, entlang der Außengrenzen der CSSR, Ungarns, über Rumänien und Bulgarien bis ans Schwarze Meer.
Sie teilt mit einer 1378 km langen, scharf bewachten Grenzanlage Deutschland in zwei Staaten, die zwei feindlichen Blöcken angehören. Soldaten der DDR haben den Befehl auf jeden zu schießen, der diese Grenze von Ost nach West überqueren will.
Eine Insel im „roten Meer“
Das Epizentrum der feindlichen Blöcke bildet Berlin. West-Berlin ist durch eine 112 km lange Stein- und Betonmauer vom Rest Deutschlands abgeschnitten. Eine Insel im „roten Meer“ des Kommunismus. Berlin spiegelt die bi-polare Welt wider. Amerikaner, Briten und Franzosen stehen als Vertreter der Westmächte auf der einen Seite, die Truppen der Sowjetunion auf der anderen.
USA vs. UdSSR
Die UdSSR und die USA sind die wichtigsten Protagonisten dieser bi-polaren Welt. Diese Welt zerfällt am 9. 11.89. Den Zerfall der Supermacht hat Vladimir Putin offensichtlich nie verwunden. Mit einem barbarischen Krieg in der Ukraine versucht er das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
Wie aus Waffenbrüdern Feinde wurden
Im Zweiten Weltkrieg hatten sich die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion gegen Hitler-Deutschland und Japan verbündet. Diese Waffenbrüderschaft überdauerte nur wenige Monate die Siegesfeiern über Nazi-Deutschland. Der „Kalte Krieg“ begann mit der Iran-Krise 1945. Die Sowjetunion unter Josef Stalin versuchte die von Kurden und Aserbeidschanern bewohnten Provinzen unter ihren Einfluss zu bekommen. Gleichzeitig strebte Stalin an, in Teheran ein kommunistisches Regime zu installieren.
US-Präsident Harry S. Truman drohte mit einem Atom-Waffen-Einsatz, um zu verhindern, dass die iranischen Ölfelder von der UdSSR eingenommen werden.
Eine Karte der militärischen Zusammenschlüsse im Kalten Krieg finden Sie unter https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/ieg2020/items/show/116
Im März 1947 verkündete der US-Präsident die „Truman-Doktrin“, mit der die USA allen Staaten militärische Unterstützung versprach, die von der UdSSR bedroht wurden. Die so genannte „Containment“-Politik (Eindämmung) sollte verhindern, dass die Sowjetunion ihren Machtbereich weiter ausdehnte. Schon 1945 hatte die „Rote Armee“ die Staaten an der Westgrenze der Sowjetunion von den Faschisten befreit und systematisch ihrem Macht- und Einflussbereich einverleibt. Unter dem Druck Moskaus wurde in den „befreiten“ Staaten das Großkapital enteignet, die Landwirtschaft kollektiviert.
Polen, die DDR, die CSSR, Ungarn, Rumänien und Bulgarien bezeichneten sich jetzt als Volksrepubliken. Die Sowjetunion hatte sich damit auch einen Sicherheitsgürtel gegenüber dem Westen verschafft. Für diese Teilung Europas fand Winston Churchill 1946 das Label „Eiserner Vorhang“.
Die NATO
Die North Atlantic Treaty Organization wurde im April 1949 gegründet, um die weitere Ausdehnung des sowjetischen Machtbereichs zu verhindern und den Mitgliedsstaaten Schutz vor der Bedrohung durch die UdSSR zu bieten. Heute gehören 30 Staaten der NATO an. Seit Mai 1955 zählt die Bundesrepublik Deutschland zum Verteidigungsbündnis.
Die Mitgliederstaaten besitzen die volle Souveränität und Unabhängigkeit. Nach der Präambel des Bündnisses bekennen sich die Staaten zu Frieden, Freiheit und der Herrschaft des Rechts. Artikel 3 normiert die „Gemeinsame Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe“. Artikel 5 definiert, was das heißt:
„Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird.“
Warschauer Pakt
Der am 14. Mai 1955 gegründete Warschauer Pakt gilt als Gegenentwurf des Ostblocks zur NATO. Die Mitglieder waren: Albanien (bis 1968), Bulgarien, die DDR (1956 bis 1990), Polen, Rumänien, die Tschechoslowakei, die UdSSR und Ungarn.
Ziele des Bündnisses: „Friedenssicherung und gegenseitige militärische Hilfestellung im Falle eines Angriffs auf einen oder mehrere der Teilnehmerstaaten“.
Im Gegensatz zum Grundsatz der Gleichberechtigung der NATO-Staaten standen die Mitglieder des Paktes unter der Befehlsgewalt der UdSSR.
Das „Vereinte Oberkommando“, dem alle Truppen unterstanden, wurde vollständig vom „Kommando des sowjetischen Generalstabes“ kontrolliert. Moskau hatte in allen Mitgliedsstaaten seine eigenen Truppen stationiert. Damit konnte die Sowjetunion eventuelle Abweichungen vom vorgegebenen Kurs sanktionieren. Abweichungen vom Kurs galten als „Angriff von außen“ und ermöglichten den Einmarsch der Roten Armee. Das passierte 1956 in Ungarn und 1968 in der CSSR beim sogenannten Prager Frühling. Schon vor der Gründung des Warschauer Paktes waren sowjetische Panzer beim Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR eingesetzt worden. Die „Breschnew-Doktrin“ von 1968 war das nachgelieferte ideologische Fundament der gängigen Praxis.
Die feindlichen Blöcke
Konventionell waren die Warschauer-Pakt-Staaten der NATO in Europa stets überlegen. Mitte der 80er Jahre verfügte das westliche Verteidigungsbündnis in Europa über rund 2,6 Millionen Soldaten. Denen standen im Osten rund 4,5 Millionen Soldaten gegenüber; die Reserven beider Seiten nicht eingerechnet.
Die USA konnten die sowjetische Überlegenheit zunächst noch recht gelassen sehen, denn nur die Vereinigten Staaten waren in der Lage auf einen Angriff mit konventionellen notfalls mit nuklearen Waffen zu antworten.
Wie verheerend die Atombombe in ihrer Vernichtungswirkung war, hatte der Abwurf der Bombe im August 1945 auf Hiroshima bewiesen. Der Atomschlag tötete 90 Prozent aller Menschen in einem Radius von 500 Metern und 59 Prozent im Umkreis von 5000 Metern. Rund 230.000 Menschen fielen dieser ersten Atombombe zum Opfer; etwa 100.000 davon starben sofort. Drei Tage später tötete die zweite Bombe rund 70.00 Menschen in Nagasaki.
Mit der Wasserstoffbombe (1953/54) wurde die tödliche Wirkung auf das siebentausendfache erhöht. Ab August 1949 war aber auch die Sowjetunion im Besitz von Atomwaffen. Ein wahnsinniges Wettrüsten begann. Das Arsenal der UdSSR zählte 1986 mehr als 40.000 Nuklearwaffen, die USA besaßen rund 23.00 solcher Bomben. Damit war jede der beiden Supermächte in der Lage den Gegner zu vernichten, was allerdings auch das eigene Todesurteil bedeutet hätte.
Wer zuerst schießt – lautete die Erkenntnis – stirbt als Zeiter. Die atomare Kraft der feindlichen Blöcke war so stark, dass der Kontrahent auch mit einem Erstschlag nicht ausgeschaltet werden konnte. Beide Seiten waren dann immer noch fähig, sich und den Gegner zu vernichten. Als „Overkill-Kapazität“ wurde diese Situation beschrieben, sinngemäß übersetzt war das die paradoxe Fähigkeit, auch als quasi Todesopfer noch töten zu können. Dieses sogenannte „Gleichgewicht des Schreckens“ (balance of terror) sorgte dafür, dass sich die Gegner nicht gegenseitig angriffen.
Irgendwann setzte sich aber die Erkenntnis durch, dass die Situation trotzdem jederzeit in einer Katastrophe enden könnte. Ein nicht sofort identifizierbarer Zwischenfall oder ein Missverständnis konnten einen Atomkrieg auslösen und die Welt vernichten.
Anfang 1982 initiierte US-Präsident Ronald Reagan ein Abkommen, um die Zahl der Trägersysteme mit nuklearen Gefechtskörpern zu reduzieren: START I, Strategic Arms Reduction Treaty, auf deutsch – Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen. 1968 folgte der Atomwaffen-Sperrvertrag, der zunächst von den drei Atommächten USA, Großbritannien und UdSSR unterschrieben wurde.
Stellvertreter-Kriege
Das Gleichgewicht des Schreckens, die Fähigkeit beider Seiten den Angreifer auch dann noch zu vernichten, wenn er mit einem Erstschlag den größten Teil der Waffenarsenale zerstört hatte – dieses Gleichgewicht verhinderte zumindest, dass es zu einer direkten Konfrontation der Supermächte USA und UdSSR kam. Es verhinderte aber nicht zahlreiche Krisen und Stellvertreterkriege rund um den Globus.
1946 – Iran-Krise
1950 – 1953 Koreakrieg
1953 – Volksaufstand DDR
1956 – Volksaufstand in Ungarn
1957 – 1975 Vietnamkrieg
1961 – Mauerbau
1962 – Kubakrise
1968 – Volksaufstand in der CCSR
1979 – NATO-Doppel-Beschluss
1979 – 1989 UdSSR-Krieg in Afghanistan
1989 – 1992 Bürgerkrieg in Afghanistan. (Die USA unterstützen weiterhin die Taliban.)
2001 – 2021 Islamische Republik Afghanistan (Schutz und Aufbau durch ISAF/ International Security Assistance Force) unter NATO-Führung
2011 – Bürgerkrieg in Syrien
2004 – Bürgerkrieg in Jemen
2014 – Eroberung der Krim durch Russland
2022 – Überfall Russlands auf die Ukraine
Der Eiserne Vorhang zerfällt
Am 2. Mai 1989 steht die ungarisch/österreichische Grenzgemeinde Sopron mehr oder weniger unbemerkt im Mittelpunkt des Weltgeschehens. Ein paar ungarische Soldaten beginnen damit die elektrischen Sicherungsanlagen abzubauen und den Stacheldraht der Grenzbefestigung zu zerschneiden. Es ist die Grenze zwischen Ost und West, die Demarkationslinie zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Welt – es ist der Eiserne Vorhang. Die Soldaten haben das erste Loch in das Monument der Unmenschlichkeit geschnitten.
Die Soldaten waren so gründlich, dass ein Stück des Grenzzaunes wieder hergestellt werden musste, damit die Außenminister Alois Mock für Österreich und Gyula Horn für Ungarn am 27. Juni 1989 den Eisernen Vorhang „ordnungsgemäß“ mit Reportern aus aller Welt offiziell durchschneiden konnten. Aber es sollte noch viereinhalb Monate dauern, bis in Berlin die Mauer fiel und die europäische Teilung beendet wurde. Die Sowjetunion löste sich am 26. Dezember 1991 auf. Die ehemaligen Sowjet-Republiken wurden unabhängig.
Acht Jahre später, im März 1999 traten Polen, Tschechien und Ungarn der NATO bei. Im Jahr 2004 folgten Bulgarien, Estland, Lettland und Litauen. Seit Mai 2022 gehören auch Rumänien, Slowakei und Slowenien dem Verteidigungsbündnis an.
Die Rolle Russlands
Russland versucht unter Putin seine Machtposition auszubauen. Und schreckt dabei auch nicht vor einem Angriffskrieg zurück. 2014 eroberten russische Truppen die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim und seit dem 24. Februar 2022 verwüstet das russische Militär die Ukraine. An der Seite Moskaus steht dabei vor allem Weißrussland.
Wer außerdem pro-russisch eingestellt ist, das zeigte sich bei der Abstimmung in der UN-Vollversammlung im Februar 2023. Es ging um eine Resolution, in der der Überfall Russlands auf die Ukraine verurteilt werden sollte.
Die Resolution hatte zwar keine völkerrechtliche Bedeutung, aber einen hohen symbolischen Wert. 143 Staaten stimmten für die Resolution, 35 enthielten sich, 10 Länder haben nicht an der Abstimmung teilgenommen. Fünf Staaten stimmten gegen die Verurteilung: Russland, Belarus, Nordkorea, Syrien und Nikaragua.
Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine führte nicht nur zu einem stärkeren Zusammenhalt in Europa, sondern bewog auch die traditionell neutralen Staaten Finnland und Schweden Beitrittsgesuche an die NATO zu richten. Finnland wurde im April 2023 das 31. Mitglied der NATO. Schweden wurde im März 2024 Nato-Mitglied.
Finnland hat eine 1340 km lange gemeinsame Grenze mit Russland. Hier entlang verlief der Eiserne Vorhang. Verläuft hier auch die neue Demarkationslinie zwischen Russland und einem Großteil der Welt?
Gerhard Specht, Berlin 2023