Ostverträge und Berlin-Abkommen

Beiträge zur Zeit- und Mediengeschichte – Folge 02

Die Ost-Verträge und das Viermächte-Abkommen über Berlin waren Meilensteine auf dem Weg zur Wiedervereinigung. Ohne sie ist die Entspannung zwischen Ost und West nicht denkbar. Dem widerspricht nicht, dass Ost-Berlin bis zuletzt – im Wortsinn – die Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu „vermauern“ versucht hatte. Moskau, Warschau und Budapest hatten den Beton-Kommunismus Ost-Berliner Prägung längst überwunden.

Abstract

Gegen den teilweise heftigen Widerstand der CDU/CSU-Opposition und der Vertriebenenverbände realisierte die seit 1969 regierende Koalition aus SPD und FDP unter Führung von Willy Brandt die „neue“ Ostpolitik.

Das heißt: Anerkennung der realen Lage in Europa, Verzicht auf Grenzrevisionen, gleichberechtigte Zusammenarbeit mit der DDR, Beibehaltung der West-Bindung der BRD, Lösung strittiger Fragen in Europa mit friedlichen Mitteln und Status-quo-Erhalt Berlins.

Zwischen 1970 und 1973 wurden deshalb mit der DDR, der Sowjetunion, Polen und der Tschechoslowakei Verträge, abgeschlossen, um die Beziehungen auch zu den Staaten zu normalisieren, die unter deutschen Gewaltakten zu leiden hatten.

Wesentliche Bestandteile der Verträge waren deshalb

– der generelle Gewaltverzicht,

– gut nachbarschaftliche Beziehungen sowie

– die Anerkennung der bestehenden Grenze zu Polen und die Ungültigkeitserklärung des Münchner Abkommens von 1938 mit der CSSR.

Inhalt

01. Berlin – Krisen und Konflikte

1.Vier-Mächte Abkommen über Berlin,

2 Transit-Abkommen mit der DDR

3. Verträge von Moskau, Warschau und Prag

4. Grundlagen-Vertrag mit der DDR

Die Verträge traten am 3. Juni 1972 in Kraft. Der Prager Vertrag folgte am 11.12.1973.

Die beiden deutschen Staaten wurden daraufhin 1973 Mitglieder der UN (United Nations).

Vorgeschichte: Berlin – Krisen und Konflikte

Seit 1946 standen sich die ehemaligen Verbündeten gegen Hitler-Deutschland feindlich gegenüber. Ein eiserner Vorhang zerriss die Welt in zwei waffenstarrende Blöcke, die bald die Fähigkeit zum Overkill erreichen sollten: Die atomare Vernichtung des Gegners auch nach einem atomaren Erstschlag.

Die beiden Deutschland – durch einen Todesstreifen getrennt – standen sich als Feinde im kalten Krieg unversöhnlich gegenüber.

Im Brennpunkt der Konfrontation – West-Berlin. Die viergeteilte Stadt, eine „Insel im roten Meer“, die immer wieder Schauplatz von Krisen und Konflikten im kalten Krieg zwischen den Blöcken war. Zumal das „Schaufenster des Westens“ eine ständige Verlockung für Bürger der DDR darstellte.

Millionen Menschen hatten seit 1949 die sowjetisch besetzte Zone in Richtung Westen verlassen. Das Land drohte auszubluten, zumal gerade die jüngeren und gut ausgebildeten Menschen ihr Glück im Westen suchten. Moskau und Ost-Berlin versuchten vergeblich zu verhindern, dass die Menschen massenhaft die DDR verließen. Zuletzt glaubten sie, nur eine Mauer könnte die Fluchtbewegung stoppen.

Berlin-Blockade

1948/49 kappte die Sowjet-Union die Zufahrtswege der Stadt. Die Gas- und Stromversorgung der Westsektoren wird drastisch eingeschränkt: Die Berlin Blockade vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949 riegelte die „Insel im roten Meer“ vollständig ab.

Die Blockade war die Antwort der UdSSR auf die Einbindung West-Berlins in die Währungsreform der Westzonen (Trizone).  Die D-Mark war auch in den Westsektoren das gültige Zahlungsmittel und unterstrich so die Zugehörigkeit der Stadt zu Westdeutschland.

Die Blockade besiegelte den endgültigen Bruch zwischen den Blöcken und schweißte die Westmächte, West-Deutschland und West-Berlin noch enger zusammen.

Die Luftbrücke zur Versorgung der Stadt wurde zum Symbol des Freiheits- und Überlebenswillens der Stadt.

Die Berlin-Blockade endete am 12. Mai 1949. Aus Sicherheitsgründen wurde die Luftbrücke aber noch bis zum September fortgeführt.

Berlin überlebte den Anschlag auf seinen Lebenswillen, aber der Kreml   ließ nicht nach in seinem Bemühen, die Insel zu kapern.

Volksaufstand 17. Juni 1953

Ohne die Hilfe des Kremls hätte Ost-Berlin den Volksaufstand Mitte Juni 1953 wahrscheinlich nicht überstanden. Rund eine Million Menschen in der gesamten DDR legten die Arbeit nieder und gingen auf die Straße.

Moskau reagierte prompt, verhängte das Kriegsrecht und übernahm zeitweise die Regierungsgewalt in Ost-Berlin.  Sowjetische Panzer, Volkspolizei und Staatsicherheit rollten dann den Massenprotest nieder.   

Ausgelöst wurde der Aufstand durch die Beschlüsse der zweiten Parteikonferenz der SED vom Juli 1952. Walter Ulbricht hatte hier den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“ in der DDR verkündet und durch die stümperhafte Umsetzung der Entscheidungen genau das Gegenteil erreicht. Der Lebensstandard der Bevölkerung verschlechterte sich, es kam zu einer Ernährungskrise und die industrielle Produktion ging zurück.

Als Diktator Stalin im März 1953 starb, atmete das Land auf und hoffte, dass nun alles besser würde. Doch die SED verschärfte stattdessen die Situation und erhöhte die Arbeitsnormen um 10,6 Prozent.

Das war zu viel. Die Lage eskalierte. Zunächst gingen die Bauarbeiter der Großbaustellen Ost-Berlins auf die Straße. Der Streik griff auf die gesamte DDR über und am 17. Juni 1953 kam es in mehr als 700 Städten und Gemeinden zu Protestaktionen.

Die Bevölkerung forderte jetzt nicht nur die Rücknahme der Normerhöhung, sondern freie Wahlen, die Wiedervereinigung und die Ablösung Walter Ulbrichts.

Der Kreml antwortete mit militärischer Macht. 50 Menschen bezahlen ihren Protest mit dem Leben. Rund 15.000 Demonstranten werden festgenommen, etwa zehn Prozent von ihnen verurteilt.

Die SED versucht den Aufstand als Ergebnis einer „faschistischen Provokation“ zu verkaufen. Es war ein eher hilfloser Versuch und das „Trauma vom 17. Juni“ beherrschte offensichtlich die Parteiführung bis zum Mauerfall A1989.

Berlin-ultimaten

Rund zehn Jahre nach der Blockade, am 27. November 1958, stellte der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita S. Chruschtschow, den Westmächten ein Ultimatum:  

  • Innerhalb von sechs Monaten sollten die West-Alliierten die Stadt verlassen. Ihre Sektoren sollten dann entmilitarisiert und in eine freie Stadt umgewandelt werden.

Anderenfalls werde die SU mit der

  • DDR einen separaten Friedensvertrag abschließen und ihr die Kontrollrechte für Berlin einschließlich der Zugangswege übertragen.

Kurz darauf, im Januar 1959 legt die Sowjet-Union den Entwurf eines Friedensvertrags mit Deutschland vor.

Der Vertrag zielt auf die

  • völkerrechtliche Anerkennung der DDR,
  • die Neutralisierung Deutschlands,
  • die weitgehende Entmilitarisierung des Landes
  • und die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als endgültige deutsche Ostgrenze ab.
  • West-Berlin soll bis zur Wiedervereinigung eine freie Stadt bleiben.

Die Verhandlungen der Westmächte mit Moskau verlaufen ergebnislos. Das Berlin-Ultimatum verstreicht. Es kommt zu einem Krisen-Gipfel zwischen US-Präsident John F. Kennedy und Chruschtschow im Januar 1961 in Wien.

Der Kreml-Chef droht in einem zweiten Ultimatum erneut mit dem Abschluss eines Separat-Friedensvertrages mit der DDR.

Kennedy setzt dem Ende Juli 1961 seine “Three essentials” entgegen:

  • Freier Zugang nach Berlin
  • Anwesenheits-Recht der Westmächte in der Stadt ´
  • Freiheits-Garantie für die Bevölkerung West-Berlins

Inzwischen hat sich die wirtschaftliche Lage der DDR weiter verschlechtert, die Fluchtbewegung reißt nicht ab und das Land droht auszubluten. Angesichts dieser Lage gibt Chruschtschow im Juli 1951 seine Zustimmung zum Bau einer Mauer; eine Forderung, die er zuvor abgelehnt hatte.

Mauerbau

Die Operation Mauerbau wurde unter Führung der Roten Armee geplant und am 13. August 1961 begann die DDR zunächst Stacheldraht-Hindernisse und dann eine Mauer mitten durch die Stadt zu errichten. Das Bauwerk zerschnitt die Lebensadern der Stadt.

Ungeachtet der Empörung der Bevölkerung und des Senats blieben die West-Alliierten passiv.  Die USA verstärkte immerhin ihre Garnison und schickte den in Berlin beliebten ehemaligen Militär-Gouverneur, Lucius D. Clay, als, Sonderbotschafter an die Mauer.

Aber – da die Abriegelung des Ost-Sektors die Zugangswege nicht beeinträchtigte vermieden beide Seiten, das aus einem kalten ein heißer Krieg wurde. Die „Essentials“ waren nicht tangiert worden.

Warnung an der amerikanisch-sowjetischen Sektorengrenze

Panzer am Checkpoint Charlie

Im September/Oktober 1961 spitzte sich die Lage erneut zu. Wiederholt hatten DDR-Grenzsoldaten den unkontrollierten Zugang der West-Alliierten nach Ost-Berlin über den Checkpint Charlie behindert. Selbst von dem stellvertretenden Chef der US-Militärmission, Edwin A. Lightner, hatte ein Grenzpolizist der DDR den Pass verlangt. Das widersprach eindeutig dem Recht der Alliierten auf unkontrollierten Zugang nach Ost-Berlin.

Die US-Army reagierte – nach erfolglosen Verhandlungen mit den Sowjets – am 27. Oktober 1961mit einer militärischen Macht-Demonstration. Sieben Panzer wurden in der Friedrichstraße stationiert, drei weitere rollten direkt an die Westseite des Kontrollpunktes.

Die Rote Armee schickte drei Panzer von Osten her zum Checkpint. Die Gefahr eines dritten Weltkrieges war plötzlich näher gerückt. 16 Stunden lang dauerte die Konfrontation am Kontrollpunkt. 16 Stunden, in denen keine Seite die Nerven verlieren durfte, wenn eine Katastrophe verhindert werden sollte.

Die sechs sich gegenüberstehenden Panzer am Checkpoint wären nicht kriegsentscheidend gewesen, aber sie hätten einen Krieg auslösen können. Die auf den Gegner ausgerichteten Geschütz-Rohre demonstrierten vor allem die Kampfbereitschaft der Super-Mächte.

Die Sowjet-Union war seit Ende der 50er Jahre zur Atommacht aufgestiegen und verfügte über bedeutend mehr Soldaten in und um Berlin als die Westmächte.  Rund 80.000 Soldaten der Roten Armee und der NVA (Nationale Volksarmee) waren im Einsatz. Nach dem Mauerbau stieg die Zahl um weitere 11.000 Mann der Grenztruppen an.

Die West-Alliierten hatten in ihren Sektoren rund 12.200 Mann stationiert. Die Hälfte davon gehörte zur US-Army. Die Truppenpräsens hatte also eher symbolischen Charakter, der demonstrieren sollte – ein Angriff auf Berlin ist ein Angriff auf die gesamte westliche Welt.

Achilles-Verse Zugangswege

Nirgendwo war Berlin so leicht verwundbar, wie bei den Zugangswegen. Der freie Zugang war nicht umsonst einer der drei Essentials, der nicht verhandelbaren Punkte des US-Präsidenten über Berlin. Der Zugang über Straße, Schiene, Wasser oder Luft in den Westteil der Insel konnte jederzeit vom Osten her abgeschnitten werden.

Die Mauer hatten die Alliierten hingenommen, weil sie den Status quo der Stadt für die Siegermächte nicht veränderte, Behinderungen bei den Zugangswegen waren dagegen direkte Angriffe auf die Rechte der Alliierten.

Bereits 1959 hatte die NATO darauf reagiert und einen militärischen Planungsstab „Live Oak“ (Lebenseiche) eingerichtet. Der Stab entwarf Konfliktszenarien und empfahl Gegenmaßnahmen. Dazu zählten politische und wirtschaftliche Sanktionen sowie militärische Operationen bis hin zum Nuklearwaffeneinsatz.

Über geheime Kanäle, die Washington und Moskau ein Jahr später auch während der Kuba-Krise nutzten, ließ sich die „Panzerkonfrontation“ schließlich entschärfen.

Neue Ostpolitik

Die Verhinderung solcher Krisen und Konflikte und die Aussöhnung mit den östlichen Nachbarstaaten, vor allem mit der DDR – darauf zielte die „neue Ostpolitik“ der seit 1969 regierenden sozial-liberalen Koalition ab.

Entspannung statt Konfrontation, Wandel durch Annäherung, Gespräche und Verhandlungen auf Augenhöhe sollten dazu beitragen, den Frieden zu sichern.

Dazu musste aber zunächst der Status von West-Berlin geklärt werden, dazu mussten die vier Siegermächte die Sicherheit der Stadt und ihrer Zugangswege garantieren.

Erwartungen an das Abkommen

Das alles sollte das „Vier-Mächte-Abkommen über Berlin“ leisten und damit den kalten Krieg etwas weniger frostig machen. Auch Moskau hatte inzwischen erkannt, dass es West-Berlin nicht in seine Gewalt bekommen kann, ohne einen dritten – womöglich atomaren – Weltkrieg zu provozieren.

Die Erwartungen des Westens an das Abkommen fasste der damalige Oberbürgermeister West-Berlins, Klaus Schütz, in drei Punkten zusammen.

Seine „drei Z“: waren: Klärung der „Zuordnung“ von West-Berlin im Verhältnis zur Bundesrepublik, der ungehinderte „Zugang“ der Bundesbürger in die drei West-Sektoren und der „Zutritt“ der West-Berliner nach Ost-Berlin. Seine Wünsche wurden nicht vollständig erfüllt.

  1. Vier-Mächte-Abkommen über Berlin

Das Viermächte-Abkommen über Berlin garantiert die Sicherheit West-Berlins und bestätigt den Status quo West-Berlins im Verhältnis zur Bundesrepublik. Auch das Aufenthaltsrecht der westlichen Besatzungsmächte im Westteil der Stadt und die Sicherheit der Zugangswege wurde festgeschrieben.

Berlin weiterhin kein Bundesland

Der rechtliche Status West-Berlins, konnte nicht abschließend geklärt werden. Festgehalten wurde aber, dass die bestehende Situation nicht einseitig verändert werden darf. Damit war zumindest garantiert, dass die Stadt vor dem Zugriff östlicher Machthaber sicher war.

  • Aber: Die West-Sektoren warenauch weiterhin kein Bundesland der Bundesrepublik Deutschland. Es bestehe aber eine besondere Beziehung zur BRD.

Das bedeutete auch, dass in West-Berlin keine Verfassungsorgane der BRD, wie Bundesregierung, Bundesrat oder Bundestag tagen durften. Auch die Zahl der Bundestagsfraktionen, die gleichzeitig in Berlin konferieren durften, wurde beschränkt.

  •  Ostberlin blieb faktisch Bestandteil und Hauptstadt der DDR. Beide Seitenverpflichteten sich aber zu einem gegenseitigen Gewaltverzicht und zum Abbau wechselseitiger Spannungen.

Reisemöglichkeiten und Besuche

Die Sowjet-Union sagte zu, die Reisemöglichkeiten nicht mehr zu behindern, sondern sie im Gegenteil zu erleichtern.

Nähere Einzelheiten sollten- so das Abkommen von den beiden deutschen Staaten selbst ausgehandelt werden. Das galt insbesondere für den Güter- und Personenverkehr zwischen der BRD und West-Berlin sowie dem Verkehr zwischen dem Ost- und Westteil der Stadt.

  • 2. Transit-Abkommen

Das Transit-Abkommen erleichterte den Bundesbürgern die Reise nach West-Berlin und den West-Berlinern den Besuch in Ost-Berlin.

West-Berliner dürfen sich jetzt pro Jahr insgesamt 30 Tage im Ostteil der Stadt oder in der DDR aufhalten, ohne Gründe für die Besuche anzugeben.

Marathon-Verhandlungen

Insgesamt 15 Monate dauerten die Verhandlungen zwischen Ost-Berlin und Bonn. Bevor dieser erste Vertrag auf Regierungsebene zwischen den beiden Staaten unterzeichnet werden konnte, hatten sich die Delegationen unter Leitung der Staatssekretäre Egon Bahr (West) und Michael Kohl (Ost) rund 750-mal getroffen. Daneben verhandelte der Senat von West-Berlin mit der DDR.

Warum waren die Verhandlungen so zeitraubend und schwierig? strittig war unter anderem, ob Bonn überhaupt für West-Berlin verhandeln durfte. Schließlich war Berlin kein Teil der Bundesrepublik.

  • War die sichere Durchreise ehemaliger DDR-Flüchtlinge gewährleistet?
  • Wie lässt sich verhindern, dass DDR-Bürger die Transitstrecken als Fluchtweg in den Westen nutzen?

Vorgabe: Einfach, schnell, günstig

Einfach, schnell und günstig soll – laut Abkommen – künftig der Güter- und Personenverkehr zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik abgewickelt werden. Die bisherigen Schikanen und Behinderungen der DDR-Grenzbeamten sollten der Vergangenheit angehören.

Das Transitabkommen umfasst insgesamt 21 Artikel. Artikel 1 verspricht: Der Transitverkehr wird erleichtert werden und ohne Behinderung sein.

Auf den Transitstrecken der Autobahnen werden Grenzübergänge eingerichtet. Die größten sind Drewitz und Marienborn.

Die nervige Kontrolle an den Grenzübergängen wurde durch das Abkommen erheblich gemildert. Das persönliche Gepäck der Bundesbürger durfte jetzt nur noch kontrolliert werden, wenn z.B. ein begründeter Verdacht auf Schmuggel oder Devisenvergehen vorlag. 

Visa werden jetzt direkt an der Übergangsstelle erteilt. Vorher war das ein langwieriger, bürokratischer Akt. Bei Bussen können sogar Sammel-Visa erteilt werden.

Kontrolle bleibt

Ein Staat in dem jeder Bürger als potenzieller Republikflüchtling gilt, verzichtet nicht auf Sicherungs-Maßnahmen.

Alleine auf den beiden größten Übergängen sind rund 1000 Grenzsoldaten, Angehörige der Passkontroll-Einheiten (PKE) und Mitarbeiter der Staatssicherheit und der Zollverwaltung im Einsatz. Um zu verhindern, dass der Transitverkehr als Fluchtweg genutzt wird, werden die Fahrzeuge in Richtung Westen mit Gamma-Strahlen durchleuchtet.

Auf den Autobahnen kontrollieren Stasi-Mitarbeiter, ob sich auch alle an die Vereinbarungen halten. Dafür setzt die Stasi auch Autos mit westdeutschen Kennzeichen ein.

Die Transitstrecken dürfen nicht verlassen werden. Ausflüge sind strikt untersagt. Der Aufenthalt an den Raststätten oder Tankstellen ist zwar erlaubt, aber er darf nicht genutzt werden, um Kontakt zu DDR-Bürgern aufzunehmen. Allgemein gilt, die Fahrt durch das Arbeiter- und Bauernparadies ist so zügig wie möglich abzuwickeln. 

Zug-Verkehr und Wasserstraßen

Auch der Zugverkehr ist so geregelt, dass er möglichst keine Fluchtwege eröffnet. So dürfen die Züge nicht unplanmäßig die Fahrt unterbrechen und müssen nach Möglichkeit eine vorgeschriebene Mindestgeschwindigkeit einhalten. Bei Betriebsstörungen gelten genaue Melde-Vorschriften.

Die zahlreichen Grenzübergänge an Wasserstraßen (Spree, Havel, Teltow-Kanal) sind ausschließlich für den gewerblichen Güterverkehr freigegeben.

Wer kontaktfrei von und nach West-Berlin reisen will, muss ein Flugzeug benutzen. Allerdings dürfen nur die Maschinen der vier Alliierten in den Luftraum über Berlin eindringen.

Bonn zahlt für Infrastruktur

Um einen möglichst reibungslosen Transitverkehr zu ermöglichen, investierte die Bundesrepublik Milliarden in die Infrastruktur der DDR. Über 2,2 Milliarden Mark gab sie für den Bau, Ausbau oder die Erneuerung von Verkehrswegen aus.

Aber die Transitstrecken wurden auch stark genutzt. Allein im letzten Jahr vor der Wende (1988) rollen fast 6,8 Millionen Pkw über die Piste. Hinzu kamen 1,2 Millionen Lkw, rund 100.000 Busse. Fast 24 Millionen Menschen reisten nach oder von Berlin-West in die Bundesrepublik

Der Transitverkehr spülte kräftig Devisen in die Ost-Berliner Staatskassen. Allein für Gebühren und Kosten kassierte die DDR jährlich eine Pauschale zwischen 235 und 240 Millionen Mark.

  • 3. Die Ostverträge: Moskau, Warschau, Prag

Mit der DDR, der Sowjetunion, Polen und der Tschechoslowakei schloss die Bundesrepublik zwischen 1970 und 1973 Verträge ab, in denen es vor allem darum ging, die Beziehungen zu den Ostblock-Staaten zu verbessern und Konflikte künftig gewaltfrei zu lösen.

Diese Ost-Verträge wurden von der seit 1969 regierenden sozial-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt geschlossen. Die Entspannungspolitik stand unter dem Motto „Wandel durch Annäherung“.

Gegen die Ostverträge wurde in der Bundesrepublik heftig polemisiert. Die CDU/CSU-Opposition und die Vertriebenen-Verbände wollten sich mit der Abschreibung der ehemaligen Ostgebiete Deutschlands nicht abfinden.

Vertrag von Moskau

Dieser im August 1970 geschlossene Vertrag mit der UdSSR war die Blaupause für alle anderen Vereinbarungen. Er gilt heute als Meilenstein auf dem Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands.

Artikel 3 garantiert die „Unverletzlichkeit der Grenzen“. Das betraf sowohl die Oder-Neiße-Linie zwischen der DDR und Polen als auch die deutsch-deutsche Grenze.

1964 hatte der damalige Bundeskanzler Ludwig Erhard die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze noch abgelehnt.

Jetzt vereinbarten die BRD und die UdSSR, dass Grenzänderungen zukünftig nur dann rechtens wären, wenn sie einvernehmlich und mit friedlichen Mittel zustande kamen. Gleichzeitig wurde ein gegenseitiger Gewaltverzicht festgeschrieben.

Vertrag von Warschau

Am 7. Dezember 1970 bekräftigten die Bundesrepublik und die Volksrepublik Polen im Warschauer Vertrag ihre Entschlossenheit, künftig Konflikte friedlich zu lösen. Beide Seiten betonten ihr Interesse an einer wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit.

Artikel 1 stellt fest, dass die beiden Staaten „gegeneinander keinerlei Gebietsansprüche haben und solche auch in Zukunft nicht erheben werden”.

Vereinbart wurde zudem, dass deutschstämmige Einwohnerinnen und Einwohner Polens im Rahmen der Familienzusammenführung ausreisen können.

Der Kniefall Willy Brandts vor dem Ehrenmal für die Helden des Warschauer Ghettos war eine Bitte um Vergebung für die deutschen Verbrechen in Polen und wurde zum Symbol der Entspannungspolitik seiner Regierung.

Warschauer Ghetto

Am 19. April 1943 hatte sich eine nur notdürftig bewaffnete Gruppe von Jüdinnen und Juden im Warschauer Ghetto gegen ihre Peiniger erhoben.  27 Tage leisteten die Menschen Widerstand. Dann schlugen die Nazis den Aufstand nieder und töteten fast alle verbliebenen Jüdinnen und Juden oder brachten sie in Vernichtungslager. Insgesamt waren fast 57.000 Todesopfer zu beklagen.

In Warschau war die größte jüdische Gemeinde Europas. Die Juden stellten mit über 350.000 Menschen fast 30 Prozent der Bevölkerung der Stadt.

Prager Vertrag

Mit der Tschechoslowakei schloss die Bundesrepublik im Dezember 1973 den letzten ihrer Ostverträge. Prag und Bonn sicherten sich in dieser Vereinbarung gegenseitigen Gewaltverzicht und die Unverletzlichkeit der Grenzend zu.

Das Münchner Abkommen, in dem die CSSR 1938 die Abtretung der von Deutschen bewohnten Teile Böhmens, Mährens und Schlesiens an Deutschland zustimmen musste, wurde für ungültig erklärt.

35 Jahre nach München bekannten Prag und Bonn nun, dass das damalige Abkommen nur unter der Androhung von Gewalt unterschrieben worden war und damit als nichtig zu bewerten sei.

  • 4. Grundlagenvertrag mit der DDR

Im zweiten Vertrag mit der DDR regelten insgesamt zehn Artikel die künftige Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten, wie z. B. im Post- und Fernmeldewesen. Außerdem wurde die Einrichtung Ständiger Vertretungen (statt Botschaften) im jeweils anderen Land vereinbart.

Der “Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik” wurde im Dezember 1972 in Ost-Berlin unterzeichnet.

Das ist der Fortschritt

Bonns Verhandlungsführer Egon Bahr warnte bei der Verabschiedung vor allzu großen Hoffnungen an die Vereinbarung: “Bisher hatten wir keine Beziehungen, jetzt werden wir schlechte haben – und das ist der Fortschritt.”

Der „Fortschritt“ machte sich an folgenden Punkten im Vertrag fest:

Angestrebt werden „normale gutnachbarliche Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung der beiden Staaten.

Es gelten die Prinzipien der “souveränen Gleichheit“ , der Achtung der Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und der territorialen Integrität. Die Wahrung der Menschenrechte ist vertraglich festgelegt.

Keine völkerrechtliche Anerkennung

Allerdings erkennt die Bundesrepublik auch weiterhin die DDR völkerrechtlich nicht an. Deshalb werden auch keine Botschafter ausgetauscht, es gibt stattdessen „Ständige Vertretungen“ in Bonn und Ost-Berlin.

Aus Sicht der Bundesrepublik gibt es – entgegen der Auffassung der SED – auch keine besondere DDR-Staatsbürgerschaft.

Wiedervereinigungs-Gebot

Wie schon Außenminister Walter Scheel bei den Moskauer Verträgen übergibt auch Egon Bahr in Ost-Berlin einen “Brief zur deutschen Einheit“. Hierin wird von der Bundesregierung festgestellt, dass der Grundlagenvertrag nicht im Widerspruch zum Ziel der Wiedervereinigung steht.

Diese Auslegung wird auch vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 31. Juli 1973bestätigt: Der Grundlagenvertrag mit der DDR ist mit dem Grundgesetz vereinbar.  Das GG verpflichtet die Politik aber auch dazu, am Wiedervereinigungsgebot festzuhalten.

Zwei Staaten, eine Nation

Den Unterschied zwischen „völkerrechtlicher Anerkennung“ und Anerkennung der DDR als eigenständigem Staat, hatte Bundeskanzler Willy Brandt bereits in seiner ersten Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 herausgestellt.

Seine Formel „Zwei Staaten, eine Nation in Deutschland“ beendete die sogenannte „Hallstein-Doktrin“. Mit dieser Doktrin hatte die Bundesrepublik bislang den Alleinvertretungs-Anspruch für ganz Deutschland für sich reklamiert.

Die Hallstein-Doktrin

Seit 1955 hatte Bonn so zu verhindern versucht, dass andere Staaten die DDR als souveränen Staat auf deutschem Boden anerkennen.

Für die christdemokratisch geführten Regierungen galt es als „unfreundlicher Akt, wenn dritte Staaten die DDR völkerrechtlich anerkennen, mit ihr diplomatische Beziehungen aufnehmen oder aufrechterhalten“ wollten. Wer die Drohung ignorierte, musste mit (meist finanziellen) Sanktionen bis hin zum Abbruch der diplomatischen Beziehung rechnen.

Ulbricht Doktrin

Als die BRD 1967 diplomatische Beziehungen mit Rumänien aufnahm, verstärkte die DDR ihre Bemühungen, sich im Ostblock zu integrieren und gleichzeitig dessen Abgrenzung zum Westen zu forcieren.

Der damalige Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht, setze der Hallstein-Doktrin seine Ulbricht-Doktrin entgegen. Mitglieder des Warschauer Paktes sollten danach ihre Beziehungen zur Bundesrepublik nicht normalisieren dürfen, solange die Bundesrepublik nicht ihrerseits „die bestehenden Grenzen und die Existenz zweier deutscher Staaten“ anerkannt habe.

Auf der Warschauer Außenminister-Konferenz der Pakt-Staaten 1967 gelang es Ulbricht tatsächlich seine Doktrin durchzusetzen.

Noch im selben Jahr schloss Ost-Berlin eine Reihe von Freundschafts- und Beistands-Verträgen mit Polen, Ungarn, Bulgarien und der CSSR, um das östliche Bündnis und die eigene Stellung darin zu festigen.

Der Durchbruch beim Kampf um die Anerkennung als eigenständiger Staat gelang der DDR aber erst nach Brandts Regierungserklärung. 1969 nahmen zunächst u.a. der Sudan, der Irak und Ägypten diplomatische Beziehungen zur DDR auf.

Ab 1972 erkannten die Staaten des Westens die DDR diplomatisch an und errichteten Botschaften in Ost-Berlin. Die USA folgten 1974.

Ein Vierteljahrhundert nach ihrer Gründung im Oktober 1949 hatte die DDR ihr Ziel erreicht: Internationale Anerkennung als souveräner Staat.

Gerhard Specht, Berlin 2023