Der Rundfunk als Waffe im Zweiten Weltkrieg
Die Nationalsozialisten setzten die Medien wie eine Droge ein. Presse, Film/Wochenschau und vor allem das Radio sollten helfen, ein Volk umzuerziehen, abzulenken und „gefolgsam” zu machen. Der zweite Weltkrieg war auch ein Medienkrieg. Goebbels hatte das noch junge Medium Rundfunk zu einem Propaganda-Instrument ausgebaut, dass möglichst jeden Haushalt beschallen und vom Faschismus überzeugen sollte.
Seinem Imperium „Großdeutscher Rundfunk“ versuchten zahlreiche Auslandssender ihre eigene Wahrheit entgegenzusetzen. Insbesondere der deutsche Dienst der englischen BBC funkte erfolgreich gegen die sogenannten „Goebbels-Schnauzen“ an. Die Briten setzten dabei auf ein besonderes Gegengift: wahrheitsgemäße Berichterstattung.
Abstract: Seit den 30er Jahren ist der Äther zum Schlachtfeld geworden. Das damals noch neue Medium Rundfunk gilt als „Wunderwaffe“ im Kampf um die Köpfe der Menschen in Europa. Moskau, Madrid, Paris und vor allem London versuchten den aggressiven Propaganda-Geschützen aus Berlin Paroli zu bieten.
Der Kampf ging nach dem Sieg der Alliierten an neuen Fronten weiter. Im Kalten Krieg prallten jetzt sozialistische und kapitalistische Ideologien aufeinander. In der Welt der Medien übernahm das bewegte Bild die Platzhirsch-Funktion. Das Fernsehen potenzierte die Emotionen in der Berichterstattung. In West-Deutschland wurde mit dem Auftritt des Privatfernsehens der Bildschirm bunter und – flacher. Und schließlich lösten sogenannte „soziale Medien“ und das Internet die Vorherrschaft des linearen TV-Programms ab.
Diese Arbeit versucht nachzuvollziehen, wie Funk und später das Fernsehen in den jeweiligen Systemen genutzt oder missbraucht wurden. Es ist eine nach den Grundsätzen des Journalismus gestaltete Darstellung, keine streng wissenschaftliche bei der jede Quelle exakt belegt sein müsste.
Inhalt
„Deutschland über alles – oder: Alles über Deutschland“
- Das Radio als Waffe – Massenmedium Volksempfänger – Dr. G. – Die fünf Säulen des Faschismus – Botschaften-Austausch via Radio – Der Großdeutsche Rundfunk – Der Weltkrieg beginnt – Lautsprecher und Hilfslehrer – „Rundfunk-Verbrechen“ – Einladung an Denunzianten
- Erkennungssignal „Victory“ – Wehrmacht auf dem Vormarsch – „Blood, Sweat, Tears“ – Zweifel und Angst – Musik und Stalingrad – Die Sportpalast-Rede
- Radiokrieg in Europa – Die Stimme der anderen – German Service – Wahrheit als Wunderwaffe – Englisch inhalieren – Feindsender Nr. 1 – Unter einer Decke – Mythos BBC
- Zusammenfassung – Musik ist Trumpf – Der letzte Ton aus Flensburg
Das Radio als Waffe
Das Radio hat ein „Zuhause“: Berlin. Hier war 1931 das „Haus des Rundfunks“ als „Heimat des Radios“ eröffnet worden; ein Gebäudekomplex konzipiert und ausgerüstet für eine einzige Funktion: Rundfunk. Das war ohne Vorbild in Europa. Aus Berlin wurde auch das weltweit erste reguläre Fernsehprogramm ausgestrahlt, aber zunächst war noch der Rundfunk das Medium der Stunde.
Die Nazis erkannten rasch die Bedeutung und die Möglichkeiten, die dieses Instrument der Massenkommunikation eröffnete. Hitler hatte schon 1925 in „Mein Kampf“ bemerkt: „Im Kriegsfall werden Wörter zu Waffen.“ In diesem Sinn bauten die Nazis nach der Machtergreifung im Januar 1933 den Rundfunk schnell und zielstrebig aus.
Vor allem der neue Reichsminister für „Volksaufklärung und Propaganda“, Dr. Joseph Goebbels, machte Druck. Im März 1933 erklärte er vor den Intendanten und Direktoren der damals noch privaten Rundfunkgesellschaften, wie er sich die Zukunft des Mediums vorstellte und warum auch diese Einrichtung – so wie schon die Presse – gleichgeschaltet werden müsse: „Ich halte den Rundfunk für das allermodernste, das allerwichtigste Massenbeeinflussungs-Instrument, das es überhaupt gibt.“ Allein die „besondere Wirksamkeit dieses Mediums für die Propaganda“ rechtfertige die Gleichschaltung der Rundfunkmitarbeiter.
Es folgte eine Welle von Einschüchterungs-Maßnahmen und Entlassungen. Mit einer Ausnahme wurden alle Intendanten gefeuert. Goebbels wollte die vollständige Kontrolle über Film, Wochenschau, Presse und die „Reichsrundfunk-Gesellschaft (RRG), die bald die wirtschaftliche, technische, politische und kulturelle Leitung aller Sender übernahm. Am 9. Februar 1934 liquidierte die RRG die zuvor selbständigen Sendegesellschaften. Die Anstalten der Länder wurden zu Filialen der RRG degradiert. Diese Gesellschaft belieferte die Regionen von jetzt an mit einem zentralen Einheitsprogramm. Die RRG selbst erhielt ihre Anweisungen direkt vom Propaganda-Ministerium.
Massenmedium Volksempfänger
Das aber reichte noch nicht aus, um das Radio zum Propaganda-Instrument Nr. 1 zu machen. Es gab einfach zu wenig Radio-Empfänger. Also präsentierten die Nazis bei der Funkausstellung im August 1933 eine neue „Wunderwaffe“ zur Massenbeeinflussung: der Volksempfänger „VE 301“. Die Zahl steht für den Tag der Machtergreifung. Der Preis von 76 Reichsmark (etwa ein halber durchschnittlicher Monatsverdienst) sollte für eine rasche Verbreitung sorgen. Und das tat er denn auch. Bereits am ersten Tag der Funkausstellung wurden 100.000 Stück unters Volk gebracht. Im März 34 waren schon 700.000 Exemplare verkauft, rund sieben Jahre später besaßen 12,5 Millionen Menschen die sogenannte „Goebbels-Schnauze“.
Die Bedeutung des Radios für den Propagandaapparat der Nationalsozialisten war auch der Justiz im „Dritten Reich“ bewusst. Als ein Gericht einen „Volksempfänger“ pfänden lassen wollte, griff die nächsthöhere Instanz ein und hob den Pfändungs-Beschluss auf. In der Urteilsbegründung hieß es: Solche Geräte seien unpfändbar, weil das Radio nicht nur der Unterhaltung diene, sondern „vor allem auch der staatsbürgerlichen Belehrung und Erziehung sowie der Schaffung der Einheit des Volkes“.
Deutschland war zum Radioland, das Radio zur Volkshochschule geworden. Die etwa 65 Millionen Menschen im Deutschen Reich (Volkszählung 1933) waren theoretisch permanent für Hitler, Goebbels und Konsorten erreichbar und – so hoffte man – beeinflussbar.
Dr. G
„Beeinflussen, umerziehen, umwandeln” in Volksgenossen, die blindlinks ihrem Führer folgen – für diese Aufgabe war Goebbels mit seinem “Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ in die Reichsregierung geholt worden.
„Dr. G“ (Selbstbezeichnung) hatte in Heidelberg Germanistik, Altphilologie und Geschichte studiert. Für die „Missionierung“ eines ganzen Volkes zum Nationalsozialismus war er die Idealbesetzung: Loyal, skrupellos, fanatisch und ein genialer „Gehirn-Wäscher“. Wenn einer den Deutschen eintrichtern konnte, dass Faschismus die einzig wahre Heilslehre und Adolf Hitler die unfehlbare Lichtgestalt dieser Weltanschauung war, dann Dr. Joseph Goebbels. In der Schule, in Betrieb und Familie oder beim Feierabend vor dem Radiogerät paukte er dem Volk ein, was Faschismus bedeutet.
Die fünf Säulen des Faschismus‘
Der Faschismus in Deutschland basierte auf fünf Säulen: Führerprinzip – Volksgemeinschaft – Lebensraum im Osten – Rassismus und Antisemitismus.
Das war das genaue Gegenteil dessen, was als „westliche Werte“ bezeichnet wurde: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung statt Führerstaat, individuelle Menschenrechte statt einer Volksgemeinschaft, die auf Minderheiten keine Rücksicht nahm. Und: Toleranz statt Rassismus und Antisemitismus.
In Deutschland dagegen stand der Führer an der Spitze des zentralistisch organisierten Staates. Seinen Entscheidungen war bedingungslos zu folgen. Das Führerprinzip setze sich dann Stufe um Stufe nach unten bis in die Familie hinein fort. Der Mann „führte“ die Familie, die Frau hatte für sein Wohlbefinden zu sorgen und ihm (und dem Führer) Kinder zu schenken.
Der Führer war der Staat. Andere Parteien, ein Parlament, eine unabhängige Justiz oder Medien, die nicht der Partei dienten, wurden nicht geduldet.
Das Volk sollte eine geschlossene Gemeinschaft bilden. Der Einzelne galt wenig, die Gemeinschaft alles. Sinnbild dafür war ein Bündel von Ruten, im Italienischen fascio“ genannt (daher „Faschismus“). Im alten Rom stand „fascio“ für Macht und Einheit. Eine einzelne Rute kann jeder zerbrechen, ein Bündel nicht. Deshalb, glaubten die Faschisten, sei ein Volk, das geschlossen hinter einem charismatischen Führer steht, unbesiegbar.
Es war ein Staat der Volksgenossen in dem „Fremde“ (Ausländer, Juden, Roma und Sinti), aber auch Kommunisten, Kriminelle und Behinderte keinen Platz hatten. Der „Volkskörper“ hatte reinzubleiben, Beziehungen zu Nicht-Ariern wurden mit Gefängnis oder Zuchthaus bestraft.
Arier (ursprünglich indogermanische Völker aus Indien und dem Iran) waren nach der nationalsozialistischen Rassen-Ideologie „nordische Menschen“, die anderen Gruppen geistig, politisch und kulturell überlegen waren: Herren-Menschen, die an der Spitze der Entwicklung standen und deshalb über minderwertige Rassen und Völker zu herrschen hatten. Polen, Russen, andere Osteuropäer gehörten für die Nazis zu diesen „Untertanen-Völkern“.
Auf der untersten Stufe der Nazi-Rassen-Ideologie standen die Juden. Der Anti-Semitismus war kein faschistisches Phänomen, wurde aber von den Nazis mit einem nahezu industriell organisierten Massenmord ins Unvorstellbare gesteigert. Etwa sechs Millionen Menschen wurden Opfer nationalsozialistischer Wahnvorstellungen. Und kaum jemand kann ehrlicherweise behaupten, von Hitlers monströsen Verbrechen überrascht worden zu sein. Zuletzt am 31. Januar 1939 hatte er im Reichstag angekündigt, im Falle eines Weltkrieges die „jüdische Rasse“ in Europa zu vernichten.
Die Shoa (hebräisch für Katastrophe) war nicht nur ein beispielloser Völkermord, sie brachte den Nazis auch wirtschaftliche Vorteile. Enteignungen, Plünderungen, Raub und Diebstahl sorgten für Wohlstand bei den Tätern und zu reicher Beute beim Staat.
(Zu den Semiten gehören vor allem arabische Völker und Israelis, die Abrahams Sohn Sem als Stammvater bezeichnen. Der Begriff Semit ist nicht präzise definiert und wegen der Nazis heute verpönt.)
Für die Herrenrasse war das Deutsche Reich, nach Ansicht der Nationalsozialisten, zu klein. Deshalb mussten „Lebensraum“ und Rohstoffe im Osten erobert werden, also in Ländern, die von Menschen bewohnt wurden, die in der Rassen-Hierarchie unter den Ariern standen. Der „Anspruch auf Lebensraum“ bedeutete Krieg. Krieg gegen Polen, die Tschechoslowakei und schließlich die Sowjetunion.
Für eine bewaffnete Auseinandersetzung war Hitlers Wehrmacht 1938 allerdings noch nicht ausgerüstet. Außerdem gab es in den Nachbarstaaten noch Millionen Deutschsprachige, die man „heim ins Reich“ holen wollte. Der Westen reagierte „zurückhaltend“ als Hitler am 12./13. März 1938 seine alte Heimat mit erheblichem Druck dem Deutschen Reich angliederte. Der sogenannte „Anschluss“ machte über 6,7 Millionen Österreicher zu deutschen Volksgenossen.
Problematischer war die „Heimholung“ der weit über drei Millionen Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei. Seit der Staatsgründung 1918 war die Minderheitenfrage strittig. Strittig war nicht genug. Hitler brauchte einen für die Schutzmächte England und Frankreich akzeptablen Grund, um ins Nachbarland einmarschieren zu können. Die Sudetendeutschen provozierten die gewünschte Unruhe. Getarnt als „Freiheitskämpfer“, die angeblich nichts mit der deutschen Wehrmacht zu tun hatten, sorgten sie für die entsprechenden Grenz-Zwischenfälle. „Entrüstet“ hatte Hitler zuvor via Radio unmissverständlich deutlich gemacht, dass er das Sudentenland „heimholen“ wolle, um die deutsche Minderheit vor Übergriffen zu schützen. „Mit dem freien Recht der Selbstbestimmung“ forderte Hitler faktisch den Anschluss der deutschen Siedlungsgebiete ans Reich. Ein Krieg schien unvermeidbar. Dennoch wollten Frankreich und Großbritannien nichts unversucht lassen, um den Frieden in Europa zu bewahren.
Botschaften-Austausch via Radio
Hitler hatte das Radio genutzt, um die Unruhen im Sudetenland anzufeuern. Der britische Premierminister hoffte, über den Rundfunk doch noch für den Frieden werben zu können. Am 27. September 1938 sendete die BBC mit einer Übersetzung der Rede des britischen Premierministers Neville Chamberlain erstmals in deutscher Sprache. Chamberlain hatte auf Übersetzung und Ausstrahlung seiner Rede gepocht, um Deutschland von seiner „Appeasement-Politik“ (Beschwichtigung, Zugeständnis) zu überzeugen.
Drei Tage später unterzeichnete der Premier gemeinsam mit den Vertretern Frankreichs und Italiens das „Münchner Abkommen“, in dem die – so wörtlich – “Abtretung des sudetendeutschen Gebiets” von der Tschechoslowakei vereinbart wurde. Hitler bedankte sich für das „Geschenk“ und sicherte zu, dass es sich bei dem Sudetenland um das letzte Gebiet handele, das er Deutschland einverleiben wolle.
Anfang Oktober 1938 wurde das an Thüringen und Sachsen angrenzende Sudetenland zu einem Teil des Großdeutschen Reiches. Hitlers „Landhunger“ aber war noch lange nicht gestillt. Wenn Chamberlain gehofft hatte, den skrupellosen Diktator mit dem Sudetenland ruhig stellen zu können, so wurde er knapp ein halbes Jahr später eines Schlechteren belehrt. Hitler besetzte am 15. März 1939 Prag, zerschlug das, was nach dem Münchner Abkommen von der Tschechoslowakei übriggeblieben war und errichtete die sogenannten „Protektorate Böhmen und Mähren“. Protektorat ist hier die zynische Bezeichnung für ein Land, das unter der Schirmherrschaft einer Schutzmacht steht. Am 23. März verleibte sich Deutschland dann noch das zu Litauen gehörende Memelland ein.
Der Großdeutsche Rundfunk
Nach dem „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich empfand Goebbels die Bezeichnung seines wichtigsten Propaganda-Instruments wohl als zu kleinkariert. Also beförderte er zum 1. Januar 1939 den Reichs-Rundfunk und verlieh ihm den Titel „Großdeutscher Rundfunk“.
Das Einheitsprogramm aus Berlin wurde (nach dem Einmarsch in die Tschechoslowakei) von 13 Reichssendern ausgestrahlt. Darunter: Danzig, Königsberg, Sender Böhmen und Mähren, Wien, Breslau, München, Frankfurt, Mainz, Leipzig, Hamburg und Saarbrücken. Allerdings durften die Reichssender nur noch ein „Regionalfenster“ produzieren. Der Rest des Programms kam aus Berlin.
In den ersten Kriegsjahren als die Wehrmacht mit Blitzkriegen die angrenzenden Länder unterwarf, schien die Bevölkerung mit Goebbels Radio-Programm noch ganz zufrieden gewesen zu sein. In einer Meldung des Sicherheitsdienstes, der über einen umfangreichen „Spitzelapparat“ verfügte, hieß es: Es „besteht gegenwärtig ein absolutes Vertrauen zur gesamten Nachrichtenübermittlung“. Das änderte sich erst als die Wehrmacht nicht mehr Sieg um Sieg errang.
Der „Sicherheitsdienst“ (SD) des Reichsführers SS war 1931 als Geheimdienst der NSDAP gegründet worden. Er sollte gezielt politische Gegner einschüchtern, bekämpfen und/oder vernichten. Zahlreiche Verbrechen gehen auf sein Konto.
Der Weltkrieg beginnt
Am 1. September 1939 begann Hitler mit dem Überfall auf Polen seine irrsinnigen Theorien in militärische Aktionen umzusetzen. Jetzt mussten Großbritannien und Frankreich reagieren, die die Tschechen ein Jahr zuvor in Stich gelassen hatten. Am 3. September erklärten beide Staaten dem Deutschen Reich den Krieg.
Selbstverständlich hatte der „Großdeutsche Rundfunk“ die Mär vom Überfall angeblich polnischer Soldaten auf den Sender Gleiwitz zu verbreiten. Die Sechs-Uhr-Nachrichten aller Stationen verkünden dann am 1. September mit einem Aufruf Hitlers an die Wehrmacht: „Es bleibt mir kein anderes Mittel, als von jetzt ab Gewalt gegen Gewalt zu setzen.“ Um zehn Uhr wird der Ton noch schärfer: „Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen. Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten.“ Selbst die Uhrzeit in dieser Meldung ist falsch. Der Überfall selbst war bekanntlich inszeniert, bei den „polnischen“ Soldaten handelte es sich tatsächlich um SS-Männer in polnischen Uniformen. Aber Hitler brauchte eben einen Vorwand, um in Polen einzumarschieren.
Lautsprecher und Hilfslehrer
Goebbels Aufgabe war es gewesen, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Deutschen auf den Einmarsch in Polen, auf den Krieg, auf den Tod von Millionen vorzubereiten. Der Rundfunk war dafür zum Lautsprecher der Reichs-Propaganda degradiert, die Mitarbeiter bei Presse, Film und Wochenschau zu Handlangern und Hilfslehrern gemacht worden. Sie sollten ein ganzes Volk umerziehen und ihm die faschistische Ideologie eintrichtern.
Der „willige Gefolgsmann“ nationalsozialistischer Wahnideen sollte geformt werden, der blind seinem Führer vertraute und die Lügen des Propagandaministers nicht hinterfragte.
Um dieses Ziel zu erreichen, konnten Goebbels und die Nazi-Oberen keine zweite Meinung im Großdeutschen Reich dulden. Oppositionelle Presseorgane, Parteien und Organisationen waren längst aus- oder gleich-geschaltet, aber die Rundfunkwellen im Äther kennen weder Grenzen noch Schlagbäume. Sie entzogen sich der Gestapo (Geheime Staatspolizei) ebenso wie den brutalen Sturmabteilungen der Nazis.
Der Äther war weit oben, das Volk lebte unten und damit in Reichweite der Nazi-Schergen. Folglich konnte es eingeschüchtert und zumindest teilweise zum Gehorsam gezwungen werden. Diese Chance ließ sich Hitler und Konsorten nicht entgehen. Mit der Androhung drastischer Strafen hofften die Nazis verhindern zu können, dass das Volk unerwünschten, fremden Stimmen sein Ohr lieh.
„Rundfunk-Verbrechen“
Das Großdeutsche Reich hatte Störsender installiert, die den Empfang feindlicher Programme zwar beeinträchtigen, letztlich jedoch nicht verhindern konnten. Aber da gab es ja noch die Justiz, die nicht mehr Recht zu sprechen, sondern den Rechten Recht zu geben hatte. Gleichzeitig mit dem Beginn des Krieges am 1. September erließen die Nationalsozialisten die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“. „Außerordentlich“ war nicht nur der Inhalt der Verordnung, sondern insbesondere auch das angekündigte Strafmaß. Die Präambel machte klar, welche Bedeutung das Reich dem Gesetz beimaß:
„Im modernen Krieg kämpft der Gegner nicht nur mit militärischen Waffen, sondern auch mit Mitteln, die das Volk seelisch beeinflussen und zermürben sollen. Eines dieser Mittel ist der Rundfunk. Jedes Wort, das der Gegner herübersendet, ist selbstverständlich verlogen und dazu bestimmt, dem deutschen Volke Schaden zuzufügen“, heißt es in der Einleitung des Gesetzes.
Die Reichsregierung wisse selbstverständlich, dass „jeder Deutsche aus Verantwortungsbewusstsein“ und aus „Anstandspflicht“ grundsätzlich das Abhören ausländischer Sender unterlässt, aber da seien ja auch noch Volksgenossen, denen es an solchem Bewusstsein fehlt. Und deshalb lege der Ministerrat für die Reichsverteidigung folgendes fest:
Paragraf 1: Das absichtliche Abhören ausländischer Sender ist verboten. Zuwiderhandlungen werden mit Zuchthaus bestraft. In leichteren Fällen kann auf Gefängnis erkannt werden.
Paragraf 2: Wer Nachrichten ausländischer Sender, die geeignet sind, die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefährden, vorsätzlich verbreitet, wird mit Zuchthaus, in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft.“
Einladung an Denunzianten
Die Verordnung öffnete Tür und Tor für Denunzianten, für böswillige Nachbarn und Familienmitglieder, die auf eine persönliche Abrechnung gelauert hatten. Die braunen Machthaber nahmen jeden Hinweis ernst und setzten rigoros ihre Drohungen um.
Zuchthausstrafen zwischen neun und 25 Monaten waren gängige Praxis. Nach Unterlagen der Gestapo (Geheime Staatspolizei) wurden zwischen September 1939 und August 1940 genau 14.110 Menschen festgenommen, die „Feindsender“ gehört haben sollen. Nur 331 von ihnen entgingen einer Verurteilung. Der Rest erhielt Zuchthaus- und Gefängnisstrafen zwischen einem Monat und fünf Jahren.
1943 verurteilten Volksgerichte elf Menschen wegen „Rundfunk-Verbrechen“ zum Tode.
Die Angst davor, dass ein Volksgenosse Nachrichten hören könnte, die das Propagandaministerium unbedingt unter Verschluss halten wollte, muss gewaltig gewesen sein. Die Nazis schreckten auch nicht davor zurück, Minderjährige in den Tod zu schicken, nur weil sie sich aus fremden Quellen informiert und ihr Wissen mit anderen geteilt hatten.
Helmuth Hübener, ehemaliger Hitlerjunge aus Hamburg, war der jüngste wegen „Rundfunkverbrechens“ zum Tode verurteilte Angeklagte. Als er am 27. Oktober 1944 in Berlin-Plötzensee enthauptet wurde, war er gerade einmal 17 Jahre alt. Die „Schwere seines Verbrechens“ gebiete die Vollstreckung des Urteils“, hatte die Reichsjugendführung zuvor in ihrer Stellungnahme festgehalten. Hübeners Flugblatt, das auf Informationen der BBC beruhte, hätte die „Widerstandskraft des deutschen Volkes im Krieg“ beeinträchtigen können.
Hübener hatte gemeinsam mit Freunden den sogenannten „Feindsender“ abgehört. Und ihm fiel auf, dass sich beispielsweise die Angaben über die Verluste der Wehrmacht deutlich von denen des Reichsrundfunks unterschieden. Er notierte solche Widersprüche und veröffentlichte sie in Flugblättern. Damit verstieß er gegen Paragraf 2 der Rundfunkverordnung, die in solchen Fällen die Todesstrafe vorsah.
Offensichtlich reichten die Drohungen und Strafen nicht völlig aus, um die Deutschen von ihrer Suche nach wahrhaftigen Informationen abzuhalten. Und da es nur mit Hilfe des Rundfunks möglich war, solche Informationen abzurufen, riskierten viele ihr Leben und ignorierten die Anordnungen aus Berlin.
Im Luftraum über Europa kreuzten sich die Angebote von deutschen Propagandasendern und ausländischen Anstalten. Beide Seiten hatten für die Schlacht im Äther mächtig aufgerüstet. Die psychologische Kriegsführung sollte erzwingen, wofür die Waffen zu stumpf waren: die Herrschaft über die Köpfe der Menschen. Der direkte Weg dorthin, die Luftlinie quasi, waren die Wellen des Rundfunks. Und dieses Instrument konnten Hitler und die Alliierten gleichermaßen virtuos bedienen.
Erkennungssignal „Victory“
Vier dumpfe Paukenschläge – dreimal kurz, einmal lang – das war nicht nur der Anfang der fünften Symphonie von Ludwig van Beethoven, das war das Morsezeichen für „Victory“ – das war das Signal für die Hoffnung von Millionen Deutschen, Dinge zu erfahren, die die gleichgeschalteten Goebbels-Medien unterdrückten. Dreimal kurz, einmal lang – das war das Erkennungssignal des deutschsprachigen Programms der BBC, der British Broadcasting Corporation: „Hier ist England“, der deutsche Dienst der BBC.
Von 1938 bis 1945 versuchte London den Beschönigungen, Verharmlosungen und Lügen des Berliner Propagandaministers gewissenhaft recherchierte, wahrheitsgemäße Information entgegenzusetzen. Eine Berichterstattung also, wie sie der Tradition des Hauses entsprach.
Die BBC, 1922 als Privatunternehmen gegründet, wurde 1927 in eine Sendeanstalt umgewandelt, die politisch und wirtschaftlich unabhängig für alle Bürger des Landes berichten sollte. Die BBC gilt seither als Blaupause für alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
Wehrmacht auf dem Vormarsch
Auf dem Festland marschiert die Wehrmacht ungebremst voran, keine Macht Europas scheint die Deutschen aufhalten zu können. Anfang April 1940 besetzt sie Dänemark und greift Norwegen an. Im Mai fallen deutsche Soldaten in Belgien, den Niederlanden, in Luxemburg und in Frankreich ein. Wenig später, nach der französischen Kapitulation, wird im Juni das Land geteilt. Der unbesetzte Teil wurde von einem Marionetten-Regime aus Vichy regiert.
Hitler greift das nächste Volk an. Der Befehl lautet: „Bomben auf England“, legt das Land in Schutt und Asche.”
Der neue Premierminister, Winston Churchill, hatte es abgelehnt mit den Deutschen zu dealen. Hitlers Antwort überbrachte Hermann Göring, Oberbefehlshaber der Luftwaffe. Ab dem 13. August 1940 flogen die deutschen Geschwader Angriff um Angriff auf die Insel. Die Stadt Coventry wurde im November 1940 fast völlig zerstört und zum Mahnmal dieses wahnsinnigen Luftkrieges. Mehr als 43.000 Menschen starben, aber die Briten ließen sich nicht in die Knie zwingen. 1945 schlugen sie brutal zurück.
Winston Churchill, sei dem 10. Mai 1940 Premierminister einer All-Parteien-Regierung, hatte versucht, die Briten mental auf den Bombenkrieg vorzubereiten. Drei Tage nach seinem Amtsantritt erklärte er in einer weltberühmt gewordenen Regierungserklärung: „Ich habe nichts zu bieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß.“
Vor den Briten läge eine Prüfung der schmerzlichsten Art: „Wir haben vor uns viele, viele lange Monate des Kampfes und Leidens. Sie fragen, was unsere Politik ist; ich will es Ihnen sagen: “Es ist Krieg zu führen… gegen eine ungeheuerliche Gewaltherrschaft, die nie übertroffen worden ist in der dunklen, beklagenswerten Liste menschlichen Verbrechen.” Das ist unsere Politik.“
Das Ziel seiner Regierung könne er in einem Wort zusammenfassen: Sieg. „Sieg um jeden Preis – Sieg trotz aller Schrecken, Sieg, wie lang und hart auch immer der Weg sein mag, denn ohne Sieg gibt es kein Überleben – seien Sie sich darüber klar – kein Überleben für das Britische Weltreich, kein Überleben für all das, wofür das Britische Weltreich eingetreten ist, kein Überleben für das Drängen und Streben der Zeitalter, dass die Menschheit sich vorwärts bewege ihrem Ziel entgegen…und ich sage: lasst uns zusammen vorwärts gehen mit unserer vereinten Kraft.”
Winston Churchill galt nicht unbedingt als Freund des Rundfunks, trotzdem meldete er sich in mehr als 30 Ansprachen bei der BBC zu Wort. Er wusste, dass man die Bürger mit keinem anderen Medium so direkt erreichen konnte wie mit dem Radio.
Nach zwei Jahren verstummten die Sirenen: Großbritanniens Luftabwehr und Luftwaffe sowie vor allem die Widerstandskraft der Briten erwiesen sich als weitaus stärker als Hitler angenommen hatte. Im Mai 1941 stellte Görings Luftwaffe die Angriffe auf England ein. Die Bomber wurden jetzt an der neuen Ostfront gebraucht. Hitlers Wehrmacht sollte am 22. Juni 1941 das „Unternehmen Barbarossa“ starten: Den Einmarsch in die Sowjetunion.
Der zwei Jahre zuvor, im August 1939, geschlossene „Nicht-Angriffs-Pakt“ war zu Altpapier geworden. Er hatte geholfen, Polen in Stücke zu reißen, die sich Berlin und Moskau ungefährdet einverleiben konnten. Jetzt standen sich die „Kurzzeit-Partner“ wieder als Todfeinde gegenüber.
Zweifel und Angst
Viele Deutsche aber bezweifelten offenbar, dass ihre Armeen tatsächlich einen Zweifronten-Krieg bewältigen könnten. Zum Zweifel kam die Angst. Die Angst davor, wegen Hitlers „Lebensraum im Osten“ den Mann, Bruder, Vater oder Sohn zu verlieren. Hitler wäre nicht er erste Feldherr, der in den Weiten Russlands vernichtend geschlagen wurde. Goebbels vertraute dem „Sicherheitsdienst“, der mit seinem Netz an Spitzeln dieses Stimmungsbild in der Bevölkerung eingefangen hatte.
Solche Zweifel durfte der Propagandaminister allerdings nicht zulassen. Zweifel waren geeignet, den Glauben an den Führer zu zerstören und Angst konnte sich schnell zersetzend auf die Wehrkraft auswirken. Goebbels reagierte sofort.
Das Einheits-Rundfunkprogramm wurde umprogrammiert. Da Siegesmeldungen seltener geworden waren musste der Kriegsverlauf propagandistisch geschönt werden. Dennoch konnte Goebbels nicht mit dem Holzhammer zuschlagen, um das Volk auf Kriegskurs zu halten. Er wusste, zu massive und plumpe Propaganda-Beschallung mindern die Glaubwürdigkeit und führen zum Ab- oder Umschalten beim Großdeutschen Rundfunk-Hörer. Also ließ er die Wortbeiträge reduzieren und Polit Parolen quasi als Schmuggelware im Programm platzieren. Insgesamt sollten Wortbeiträge auf nur noch 20 Prozent des Programms zurückgefahren werden.
Musik und Stalingrad
Ablenkung lautete das Gebot der Stunde. Gute Laune war jetzt mehr denn je erste Volksgenossen-Pflicht. Der „Großdeutsche Rundfunk“ war zum Unterhaltungsmedium geworden, das dafür sorgen sollte, dass das Volk von Angst und Zweifel abgelenkt und wieder voll „Führer-Vertrauen“ in die Zukunft blickte.
Goebbels setzte auf eine Theorie, die heute als Eskapismus bezeichnet und mit Realitäts- oder Wirklichkeitsflucht übersetzt wird. Menschen nutzen demnach Medien, um die Probleme, Sorgen und Spannungen des Alltags kurzzeitig wegzuschieben, um wenigstens für ein paar Minuten oder Stunden in eine bessere (Schein-) Welt zu fliehen. Goebbels sorgte mit Film und Rundfunk dafür, dass es ein reichhaltiges Angebot an solcher Ablenkung gab. Der „Großdeutsche Rundfunk“ steigerte deshalb seinen Unterhaltungs-Anteil im Programm auf rund 80 Prozent.
Bei der Schlacht um Stalingrad erfroren, verhungerten oder verbluteten im Winter 1943 zehntausende deutscher und sowjetischer Soldaten. Im selben Jahr ertönte aus Millionen Volksempfängern an der „Heimatfront“ Rudi Schurickes „Mit Musik geht alles besser“. Im Kino lief „Wir machen Musik“ und „Wen die Götter lieben“. Und überhaupt: Hatte Zarah Leander nicht schon vor Monaten versprochen „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n”?
Die Sportpalast-Rede
Die Ausstrahlung der Ansprachen von Nazi-Größen blieb den Deutschen erhalten. Trauriger Höhepunkt: Die Goebbels-Rede im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943. Genau 16 Tage zuvor hatte die 6. Armee der Wehrmacht in den Trümmern von Stalingrad kapituliert. Die Schlacht kostete etwa einer Million Menschen das Leben. Die Hälfte davon waren sowjetische Soldaten. 226.00 deutsche und 300.000 Verbündete gingen in den Tod. Weitere 110.000 Wehrmachtsangehörige kamen in sowjetische Gefangenschaft.
Anscheinend unbeeindruckt von diesen Zahlen fragte Goebbels eine handverlesene Versammlung, die das deutsche Volk repräsentieren sollte: “Wollt ihr den totalen Krieg? ”
Ausschnitte der Goebbels Rede: “Es (das deutsche Volk) will nicht den totalen Krieg, sagen die Engländer, sondern die Kapitulation. Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn – wenn nötig – totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können?“
Die Rede, immer wieder von frenetischem Beifall unterbrochen, gilt als rhetorische Meisterleistung. Zeitzeugen behaupten, sie habe auch Menschen mitgerissen, die dem Nationalsozialismus eher skeptisch gegenüberstanden.
In dem mit rhetorischen Figuren gespickten Aufruf versuchte Goebbels einmal mehr die Nazi-Ideologie als Religionsersatz und Hitler als gottähnlichen Führer darzustellen. Auch die Handlungsaufforderung am Schluss der menschenverachtenden Rede im Sportpalast entsprach ganz der klassischen Form manipulativer Texte: „Der Führer hat befohlen, wir werden ihm folgen. Wenn wir je treu und unverbrüchlich an den Sieg geglaubt haben, dann in dieser Stunde der nationalen Besinnung…Und darum lautet von jetzt ab die Parole: Nun Volk, steh auf und Sturm brich los!“
Radiokrieg in Europa
Die Rede wurde nicht nur im Großdeutschen Reich ausgestrahlt. Längst hatte der Reichspropaganda-Minister ein umfassendes internationales Netz aus Sendeanstalten geknüpft. Der deutsche Kurzwellen-Sender des Reichs-Rundfunks versuchte mit 53 fremdsprachlichen Programmen PR für die Nazis zu verbreiten.
Auf deutscher Seite kämpften sowohl Sender, die sich offen als deutsche Stationen zu erkennen gaben, als auch eine Reihe von sogenannten „schwarzen Radios“, die unter falscher Flagge Propaganda-Phrasen in die Welt schickten.
Besonders perfide waren Geheimsender wie „La Voix de la Paix“. Die „Stimme des Friedens“ behauptete etwa, hinter ihr stehe eine pazifistische, revolutionäre und rechtsextreme Oppositionsgruppe im Untergrund.
Später ging dann auch noch“ Radio Humanité“ auf Sendung, das sich an französische Arbeiter richtete und vorgab den „imperialistischen und kapitalistischen Krieg“ zu bekämpfen.
Diese beiden deutschen Geheimsender sollen während des Frankreich-Feldzuges der Wehrmacht für große Irritationen gesorgt haben. Sie verbreiteten Fake-News über angebliche Gräuel-Taten der deutschen Truppen in bestimmten Regionen und lösten so eine Fluchtbewegung bei der französischen Zivilbevölkerung aus, die zu einem Chaos auf den Straßen führte und die Bewegungsfreiheit der französischen Truppen behinderte.
Erfolgreich konnten solche Sender in Frankreich nur sein, weil die französische Regierung es abgelehnt hatte, den Rundfunk als Waffe zu nutzen und stattdessen trockene, zensierte Informationen verbreitete. Viele Franzosen schalteten deshalb ihre eigenen Sender ab und stattdessen beispielsweise auf den Landesdienst der BBC (” Ici la France“) um. Von dort aus rief auch der Kommandant der 4. französischen Panzerdivision, Charles de Gaulle, zum Widerstand auf.
Der Nazi-Auslandssender „German Calling“ lockte mit Jazz und Swingmusik Hörer an. Auch veröffentlichte er, dem Beispiel ausländischer Sender folgend, Namen von Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft. Mit einem solchen Dienst lockten die Sender beider Seiten Hörer ans Gerät, die anschließend mit mehr oder weniger sachlichen Informationen berieselt werden konnten.
Es war eine offene Schlacht im Äther und – allen Anstrengungen von Berlin zum Trotz – den Himmel über Europa hatte Goebbels zu keinem Zeitpunkt allein beherrscht.
Die Stimmen der anderen
Bei „Radio Moskau“, das schon seit 1929 mit deutschsprachigen Sendungen versucht hatte die „Genossen in Deutschland“ moralisch zu unterstützen, gestalteten bekannte deutsche Kommunisten wie Wilhelm Pieck (später Präsident der DDR), Johannes R. Becher (später Kulturminister der DDR) oder Ernst Busch (Schauspieler/Nationalpreisträger der DDR) ein deutschsprachiges Programm.
Trotz gelegentlich schlechter Tonqualität erreichte Moskau viele deutsche Hörer mit Meldungen über vermisste oder gefallene deutsche Soldaten. Ganze Namenslisten deutscher Kriegsgefangener wurden verlesen, manchmal kamen Wehrmachts-Soldaten auch direkt zu Wort. Für Goebbels war dies ein Schlag ins Gesicht, denn seine Propaganda-Kompanien hatten stets behauptet, die „Rote Armee“ mache keine Gefangenen.
Der „Deutsche Freiheitssender 29,8“ hatte schon 1939 sein Programm eingestellt, nachdem er zwei Jahre lang vergeblich versucht hatte, den Sieg der von Deutschland unterstützten faschistischen Franco-Truppen zu verhindern. „29,8“ informierte die Deutschen auch über die Verbrechen der „Legion Condor“, die unter anderem die baskische Kleinstadt Guernica bei einem Luftkrieg nahezu vollständig zerstört hatte. Hitler hatte den spanischen Bürgerkrieg auch genutzt, um neue Waffen zu testen.
Aus der Schweiz lieferte seit 1931 „Radio Beromünster“ insbesondere für Hörer in Süddeutschland neutrale Informationen über den Kriegsverlauf in deutscher Sprache. Beromünster verzichtete darauf, die Propaganda des Deutschen Reiches mit direkter Gegenpropaganda zu bekämpfen. Die Station, ein öffentlich-rechtlicher Sender der Schweizerischen Rundspruchgesellschaft (SRG), setzte auf Sachlichkeit.
Die Vereinigten Staaten waren am 11. Dezember 1941 in den Weltkrieg eingetreten, nachdem die Japaner vier Tage zuvor den amerikanischen Marinestützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii überfallen hatten.
Im Februar 1942 folgte „Voice of America“ den GIs (Bezeichnung einfacher Soldat) auf das Schlachtfeld in Europa. Die Autoren Erika und Klaus Mann, Stefan Heym oder beispielsweise auch Hans Habe gehörten zum Team der Stimme Amerikas. Das Wichtigste war aber auch bei der Voice of America die “Kriegsgefangenensendung”. Hier konnte plötzlich die Stimme des Sohnes, Bruders, Ehemanns oder Vaters, der in Gefangenschaft geraten war, aus dem Lautsprecher kommen: „Hallo liebe Hilde, liebe Kinder, liebe Oma – hier spricht der Vati. Es geht mir gut, macht euch keine Sorgen.” Und zum Abschied: „Also liebe Kinder, seid immer hübsch artig.“
German Service
Kein ausländischer Sender aber war so erfolgreich wie der „Deutsche Dienst der BBC“. Nach einer Studie des Londoner Rundfunks hörten 1944 täglich zehn Millionen Menschen das Programm aus dem „Bush-House“. Für den Erfolg gab es eine Geheimformel: Glaubwürdigkeit, das Bemühen um wahrhaftige Information statt Propaganda-Lügen nach Art des Joseph Goebbels.
Hugh Carleton Green war am 15. Oktober 1940, noch nicht einmal 30Jahre alt, zum Chefredakteur für die Nachrichtensendungen des deutschsprachigen Programms der BBC geworden und hatte sofort erkannt, dass die Ansprache an die Hörer optimiert werden müsse. Bisher hatte ein englisches Team Nachrichten geschrieben, die dann für die die über 40 fremdsprachigen Programme übersetzt wurden.
Die Nachrichten, argumentierte Green, sind der wichtigste Teil des Programms und deshalb müssen die Texte den „Bedürfnissen des Empfängers und den dortigen Bedingungen Rechnung“ tragen. Dem neuen Chefredakteur gelang es tatsächlich einen „autonomen Nachrichtendienst“ speziell für Deutschland aufzubauen.
Green hatte seine journalistische Karriere mit einer 18-Zeilen-Meldung über einen Brand in England begonnen, ging dann später nach München und Berlin sowie in einige osteuropäische Metropolen. Als Deutschland-Korrespondent für englische Zeitungen hatte er sich in deutsche Geschichte und Politik vertieft, er hatte das 1933 eingerichtete KZ Dachau besucht und Hitlers 1925 erschienenen „Mein Kampf“ gelesen. In diesem Buch war vorweggenommen, was später blutige Realität werden sollte. Green wunderte sich, dass kaum jemand das Pamphlet zur Kenntnis nehmen wollte.
Green, Bruder des Schriftstellers Graham Green („Der dritte Mann“) war dem Ethos des angelsächsischen Journalismus verpflichtet: Ergebnisoffene Recherche, wahrheitsgemäße Berichterstattung, strikte Trennung von Bericht und Kommentar. Diesen Prinzipien blieb er auch in einer Zeit treu, als Propagandisten und Agitatoren den Äther beherrschten. Er setzte die Wahrheit der Lüge entgegen und gewann bei den Hörern Vertrauen und Glaubwürdigkeit.
Wahrheit als Wunderwaffe
Das wahrhaftige Berichterstattung alternativlos war, daran hatte Green anscheinend nie gezweifelt. Zur Wahrhaftigkeit gehörte aber auch, dass eigene Rückschläge und Niederlagen nicht beschönigt oder gar verschwiegen werden durften. Dies, meinte der BBC-Mann, sei gerade den deutschen Hörern gegenüber von besonderer Bedeutung, weil die aus ihrer eigenen Presse und ihrem Rundfunk nur „völlig skrupellose Lügen“ lesen oder hören konnten. In deutschen Augen mussten wir wohl „merkwürdige Geschöpfe“ sein, weil wir „tatsächlich an der Wahrheit interessiert“ waren.
Diese „Wahrheit“ war – angesichts der anfänglichen Erfolge der von den Nazis so genannten Achse Berlin-Rom-Tokio – nur schwer zu ertragen. Trotzdem: Green und sein Team im Londoner „Bush-House“ setzten die Meldungen über britische Niederlagen immer wieder an die Spitze ihrer Nachrichten im „German Service“. Hier drei gravierende Beispiele.
Dezember 1941: Die Kaiserliche Japanische Marine versenkt die beiden britischen Großkampfschiffe „HMS Prince of Wales“ und „HMS Repulse“ vor der Küste Malaysias. Die Schiffe sollten eigentlich die britischen Kolonien in Südostasien beschützen und eine Landung der Japaner verhindern.
- Der Fall von Singapur im Februar 1942 gilt als die größte Niederlage der britischen Armee. Rund 80.000 britische, indische und australische Soldaten gerieten in japanische Gefangenschaft.
- In einem beispiellosen Siegeszug eroberte der deutsche Generalfeldmarschall Erwin Rommel Nordafrika, vertrieb 1942 die Briten aus Libyen und marschierte 400 km in Richtung Ägypten. Erst vor El Alamein an der Mittelmeer-Küste konnte er im Juli gestoppt werden.
Green: „Wir haben von Anfang an gedacht, es ist besser so weit wie möglich die Wahrheit zu berichten und deshalb auch unsere Niederlagen nicht zu vertuschen, sondern unsere Niederlagen wie der Fall von Singapur, die Versenkung der Prince of Wales oder die Erfolge von Rommel in Nordafrika auf eine leitende (prominente) Stelle in unsere Nachrichtensendungen zu setzen, in der Hoffnung, dass wir später Siege erleben werden und dass die deutschen Hörer uns dann auch wieder glauben würden.“
Der Radiomann sollte Recht behalten. Auch mit seiner Auffassung, dass Wahrheit immer wirkungsvoller ist als die bekanntermaßen „kurzbeinigen Lügen“. Die beste Propaganda sei demnach die ehrliche Berichterstattung. Nach dem Krieg, im Gespräch mit dem NDR-Journalisten Rolf Seelmann-Eggebert, hatte Green es so ausgedrückt: „Ich glaube, wir haben uns auf diesem Weg als bessere Propagandisten gezeigt als Goebbels. Goebbels konnte niemals mit Niederlagen fertig werden.“
Einmal, angeblich wirklich nur einmal, ist der Londoner „German Service“ vom Pfad der journalistischen Tugend abgewichen und zum Aktivisten geworden. Nach dem erfolglosen Umsturzversuch und dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 meldete die BBC: Bürgerkrieg in Deutschland ausgebrochen.
Eine glatte Lüge. Im Interview mit Seelmann-Eggebert versuchte Green zu erklären, wie es dazu kam: „Mein Gedanke war, dass die Verschwörer vielleicht irgendwo durchhalten könnten. In Wien und Paris haben sie das ja auch eine Zeitlang getan. Die Idee war, wenn der Ausbruch eines Bürgerkrieges gemeldet würde, dass dann tatsächlich ein Bürgerkrieg ausbrechen könnte. Es sollte eine Ermutigung sein für Soldaten, die noch nicht von der Gestapo verhaftet worden waren und eine Möglichkeit hatten zu kämpfen.“ Er habe so etwas – in der Gewissheit, dass es nicht stimmte – ein einziges Mal in einer Nachrichtensendung getan. Es geschah – so Green – „aus taktischen Gründen.“
Die Taktik ging nicht auf und die BBC kehrte zu ihrer Strategie der wahrheitsgemäßen Berichterstattung zurück. In Deutschland wartete man darauf.
„Englisch inhalieren“
„Englisch inhalieren“ nannten es die deutschen Hörer, wenn sie heimlich den Londoner Rundfunk einschalteten. Hier erfuhren sie, wie es wirklich an den Fronten des Krieges aussah, hier wurde ihnen in Berichten und Kommentaren die andere, die englische Sicht der Dinge mitgeteilt.
In 55 Ansprachen hatte sich beispielsweise der Nobelpreisträger Thomas Mann an die „Deutschen Hörer“ gewandt. Via London meldeten sich auch die Nazi-Gegner Pastor Martin Niemöller, (evangelisch, Bekennende Kirche), der katholische Bischof von Berlin, Kardinal Konrad Graf von Preysing oder Bischof Clemens August Graf von Galen aus Münster zu Wort.
Wer wissen wollte, was sich wirklich im Reich tat, der konnte auf die Stimme aus dem „Bush-House“ nicht verzichten. London informierte über das Euthanasie-Programm (zur Tötung von körperlich oder geistig behinderten Menschen) ebenso wie über die massenhafte Ermordung der europäischen Juden. Selbstverständlich fanden Berichte über die Opposition und die Widerstandskämpfer breiten Raum im Programm. Als die Geschwister Scholl 1942 ihre Flugblätter “Wider die Diktatur des Bösen“ in den Lichthof der Münchner Universität geworfen hatten, verbreitete der „German Service“ den Text im Wortlaut.
Ergänzt wurde das Informationsangebot durch eine Reihe satirischer Beiträge. Sehr beliebt waren beispielsweise die Folgen „Briefe des Gefreiten Hirnschal“. Die Figur war als führergläubiger Landser gestaltet, der in Briefen an Ehefrau Amalia schrieb, wie es an der Front zuging. Autor Robert Lucas spielte in der Serie mit dem offensichtlichen Widerspruch zwischen Berliner Propaganda und der Realität an der Front.
Feindsender Nummer 1
Glaubwürdige Informationen zum Kriegsverlauf und über Ereignisse im eigenen Land, die die Nazis vertuschen wollten, sowie Stimmen der Opposition und des Widerstandes, umrahmt von Musik und unterhaltsamen Serien – diese Mischung machten den „German Service“ der BBC zum beliebtesten ausländischen Sender in Deutschland. Und – zum Feindsender Nummer 1 für die Führung des Großdeutschen Reiches.
„In Goebbels Volksempfänger VE 301“, spottete man im Großdeutschen Reich, „hörst du Deutschland, Deutschland über alles. Aus London hörst du alles über Deutschland.“ Dieses Gegengift von der Insel, dass Teile der deutschen Bevölkerung gegen die Nazi-Parolen zu immunisieren drohte, konnten die Nationalsozialisten nicht hinnehmen. Aber ihre Störsender und selbst die drastischen Strafen wegen „Rundfunkverbrechen“ (Nazi-Verordnung) halfen nicht, die Stimme aus London abzuwürgen.
Mit dem Volksempfänger hatte der Propagandaminister zwar die Hörer-Zahlen im Reich drastisch gesteigert, aber jetzt richtete sich der Erfolg auch gegen Goebbels selbst. Der „VE 301“ war zwar so konstruiert worden, dass man eigentlich nur den jeweiligen Bezirkssender und den „Deutschlandsender“ des Reichsrundfunks empfangen konnte, aber auch die BBC war hörbar. Wer trotzdem Schwierigkeiten beim Empfang des Feindsenders hatte, bekam Basteltipps direkt aus London.
Unter einer Decke
Gefängnis, Zuchthaus, Todesstrafe – zwischen zehn und 15 Millionen Deutsche gingen täglich das Risiko ein, verraten, denunziert und angeklagt zu werden. Sie riskierten ihr Leben, um ungeschönte Nachrichten über den Kriegsverlauf oder die ungeheuerlichen Ereignisse im Großdeutschen Reich zu hören. Vor allem aber hofften sie auf Lebenszeichen ihrer Söhne, Brüder, Väter oder Ehegatten aus der Kriegsgefangenschaft.
Sie gingen dieses Risiko ein, obwohl es in ihrer Umgebung von Menschen wimmelte, die jahrelang ideologisch indoktriniert, getäuscht und gehirn-gewaschen worden waren: führer-gläubige Nachbarn, Blockwarte, Geheimpolizisten und nahe Verwandte, die allerdings dem Faschismus näherstanden als ihrer Familie.
Der Rest des Volkes kroch buchstäblich mit den Feindsendern unter eine Decke. Das dämpfte den Ton aus London und entzog dem Nachbarn den Blick auf die Empfänger mit der Sendereinstellung, die zum Tode führen konnte.
„Wir haben den Radioapparat mit Kissen bedeckt und die Köpfe darunter gesteckt, um BBC zu hören“, erinnert sich beispielsweise der spätere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen, Bernhard Vogel. Er sei gerade einmal zehn Jahre alt gewesen, als er 1943 gemeinsam mit seiner Mutter heimlich den Deutschen Dienst aus London hörte.
Der Zehnjährige wusste im Grunde nur: Es war Krieg und sein älterer Bruder, Jochen Vogel, war Soldat und stand in Italien an der Front. Jochen Vogel wured später Oberbürgermeister von München, Regierender Bürgermeister von West-Berlin und – unter Willy Brandt – Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Die Familie Vogel war eine von Millionen deutscher Familien, die den Kopf unter die Decke steckten, um in einem Reich voller faschistischer Lügen und Phrasen ein Stück Wahrheit zu erfahren.
Hugh Green und viele andere Journalisten, die sich der Wahrheit verpflichtet hatten, bewiesen mit ihrer Arbeit, dass das Bemühen um Wahrhaftigkeit bei den Hörern Glaubwürdigkeit und Vertrauen erzeugen kann. Und auf dieser Basis beruht schließlich jede journalistische Tätigkeit.
Mythos BBC
Natürlich hat die BBC auch selbst Hand angelegt, um den Mythos vom Sender, der der reinen Wahrheit verpflichtet ist, weltweit zu verbreiten. Aber es nötigt einem schon Respekt ab, wenn jemand behauptet, er habe etwas bei der BBC gehört und „deshalb müsse es wahr sein“.
Der französische Journalist und Schriftsteller Jean Galtier-Boissière, sagte nach dem Weltkrieg: „Die große Geheimwaffe waren nicht die V1 oder V2, das war das Radio. Und die Engländer haben es erfunden.“ Selbst Goebbels hätte ihm wohl zustimmen müssen.
Die zynischerweise „Vergeltungswaffen“ (V I und V 2) genannten Raketen-Systeme waren Hitlers letzte Hoffnung, den Krieg doch noch zu gewinnen. Diese Hoffnung hat sich zum Glück nicht erfüllt.
Zusammenfassung
Die Frage nach der Wirkung des Rundfunk-Programms steht am Ende des Kapitels, weil sie letztendlich nicht wirklich zu beantworten ist. So etwas wie Hörerforschung gab es nicht, belastbare Aussagen über Hörerzahlen von deutschen und ausländischen Rundfunksendungen, Auswirkungen von Programmen auf das Alltagsleben – alles Fehlanzeige.
Goebbels und Green waren aber trotzdem von der Wirkung ihrer Arbeit überzeugt. Sonst wäre der Aufwand für die Produktion und Verbreitung ihrer Angebote nicht nachvollziehbar. Immerhin hatte Goebbels einen Spitzelapparat, der ihm übermittelte, was das Volk sich wünscht. Offensichtlich hat das dann auch zu Änderungen im Programm geführt.
Solange die Deutschen von Sieg zu Sieg eilten, waren Propagandalügen nicht erforderlich. Aber spätesten seit der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad (Anfang 1943) musste der Propagandaminister die Siege herbeireden, die die Wehrmacht nicht mehr erzielte. Seine Rede im Sportpalast (18. Februar 1943) bewies, dass Goebbels das Wort zur Waffe machen konnte.
Musik ist Trumpf
Das Volk, das schon beim Einmarsch in die Sowjetunion (22. Juni 1941) Hitlers Sieges-Meldungen angezweifelt hatte, machte mehr und mehr Fragezeichen hinter die Parolen im „Großdeutschen Rundfunk“. Der Propagandaminister reagierte – wie dargestellt – prompt. Musik war jetzt Trumpf im Volksempfänger. Die großen Reden der NS-Führer wurden selbstverständlich weiterhin übertragen und die Bekanntmachungen des Oberkommandos der Wehrmacht zur besten Sendezeit ausgestrahlt, aber ansonsten waren Textbeiträge nur noch häppchenweise zu hören. Den 80 Prozent Unterhaltungssendungen standen gerade noch 20 Prozent Textbeiträge gegenüber.
Das Volk – hatte der Berliner Chefmanipulator erkannt – wollte und brauchte Ablenkung von den Alltags-Nöten, Aufputschmittel und Trostspender angesichts der näherkommenden Niederlage. Mit Schlagern wie „Komm spiel mit mir Blindekuh“, „Nur nicht aus Liebe weinen“, „Heimat, deine Sterne“ oder „Ja, ja, der Chianti-Wein“ für die Italien-Sehnsucht sendete Goebbels Balsam auf die geschundene nationalsozialistische Seele.
Die Strategie hinter der heilen Schlagerwelt: Ablenken und vor allem verhindern, dass die Deutschen auf BBC oder andere Gegenstimmen umschalteten. Der Propagandaminister ließ auch hemmungslos den Anteil am eigentlich verpönten Swing und Jazz hochfahren, wenn er merkte, dass das Publikum diese Musik bei den Feindsendern verstärkt einschaltete.
Jedes Mittel war recht, um die Deutschen an deutschen Sendern zu halten. Denn, wenn das Volk auf Feindsender umschaltete, war es selbst für die zwischen die Musik geschmuggelten Wortbeiträge verloren.
Die Reichssender verfügten deshalb über eine Reihe von Orchestern, die ebenfalls für beschwingte Rhythmen sorgten. Bei den überaus beliebten „Wunschkonzerten“ schickten sie musikalische Grüße und ein schwungvolles „Glück auf“ an die „Soldaten im Feindesland.“
Die Strategie, mit Hilfe des Rundfunks abzulenken, ist wohl aufgegangen. Inwieweit die propagandistischen Botschaften aber wirklich geholfen haben faschistische Meinungen zu festigen oder sogar neu einzupflanzen – diese Frage muss wohl offenbleiben.
Tatsache ist jedenfalls, dass die Hörer sich die Informationen, die sie wirklich brauchten, auch beschafft haben; selbst wenn harte Strafen drohten. Und was die Menschen offensichtlich brauchten, das waren ehrliche Informationen über den Kriegsverlauf und vor allem anderen – Nachrichten über das Schicksal ihrer Familienangehörigen an der Front und in Gefangenschaft.
Der letzte Ton aus Flensburg
Wie gewohnt mit der Melodie „Üb immer Treu und Redlichkeit“ eröffnete der einzig verbliebene Reichssender Flensburg seine letzte Sendung. Es ist der 8. Mai 1945, 20:03 Uhr: „Wir bringen den letzten Wehrmachtsbericht dieses Krieges.“
Aber bevor die Kapitulationserklärung verkündet wird, weist Flensburg noch einmal auf die tapferen deutschen Divisionen in Ostpreußen hin. Selbst die Meldung, dass der dortige General mit dem Ritterkreuz (mit Brillanten) geehrt worden war, scheint den Nazis wichtiger gewesen zu sein als die Nachricht über das Ende des Krieges.
Dann werden noch die Soldaten in Kurland und am Atlantik lobend erwähnt, bis es schließlich heißt: „Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen. Der aussichtslose Kampf wurde eingestellt“. Die Wehrmacht habe sich einem übermächtigen Gegner „ehrenvoll ergeben.“
Flensburg verabschiedete sich mit dem Horst-Wessel-Lied: „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen.“ Der Großdeutsche Rundfunk war Geschichte. Und die BBC? Sie wurde zum bestimmenden Vorbild im Rundfunk der west-deutschen Nachkriegsgeschichte.
Gerhard Specht, Berlin, 2023
Ergänzend zum Artikel finden Sie hier im Studierzimmer
eine Chronik zum Thema “Der Kalte Krieg und die Medien“.